nd-aktuell.de / 23.08.2018 / Kultur / Seite 16

Des Magiers Erstling

François-René de Chateaubriand: »Atala«

Klaus Bellin

Da schreibt einer sein erstes Buch und schafft es auf Anhieb, Leser zu Tränen zu rühren. Die Geschichte handelt von einem jungen Mann im fernen Amerika, dem Indianerprinzen Chactas, der von einem Spanier christlich erzogen wurde, nun aber zu seinem Stamm zurückkehren will, dabei in die Hände feindlicher Krieger gerät und dem Tod nur entgeht, weil Atala, die Häuptlingstochter, mit ihm in die Wälder flieht. Doch die Liebenden können zueinander nicht kommen, weil die junge Frau von jenem Spanier einst adoptiert worden ist (für religiöse Fanatiker ein Adoptions-Inzest) und durch ein fragwürdiges Gelübde ihre Jungfräulichkeit nicht verlieren darf. Sie nimmt sich, um sich vor ihrer Leidenschaft zu schützen, daraufhin das Leben.

Autor der Novelle ist der Franzose François-René de Chateaubriand (1768 - 1848), für viele ein Unbekannter noch immer, wenigstens im deutschsprachigen Raum, einst unter den schreibenden Berühmtheiten Frankreichs sogar einer der Erfolgreichsten und Berühmtesten, mit Hingabe gelesen, bewundert und gerühmt, wegen seiner politischen Einstellungen umstritten, auch als Reaktionär verschrien.

Bedenkenswert immerhin das Urteil des unerbittlichsten Kritikers, der im Paris des 19. Jahrhunderts schrieb. Sainte-Beuve erklärte mit Nachdruck in einem großen Essay: »Monsieur de Chateaubriand ist und wird auf lange der erste, der größte französische Schriftsteller seiner Zeit bleiben.« Mag er heute auch nicht mehr der Erste sein, einer der Großen ist er geblieben.

»Atala« war das erste Buch, das Chateaubriand veröffentlichte. Es erschien im April 1801, ein gutes Jahrzehnt nach Ausbruch der Französischen Revolution, die den jungen Mann, Spross eines bretonischen Landadligen, ins Exil getrieben hatte, erst nach England, dann nach Amerika.

»Ich war noch sehr jung«, schrieb er im Vorwort zu seinem »kleinen Werk«, »als ich auf den Gedanken kam, ein Epos des Naturmenschen zu schreiben oder das Leben der Eingeborenen darzustellen …« Also zog er los, durchquerte die amerikanische Wildnis und verarbeitete seine Eindrücke in seinem literarischen Debüt. 1805, als er dem Büchlein noch einmal ein Geleitwort widmete, erlebte es bereits die zwölfte Auflage.

Nach den »Erinnerungen von jenseits des Grabes« (2017 bei Matthes & Seitz erschienen) macht der Zürcher Dörlemann Verlag in einer feinen, liebevoll ausgestatteten Edition auch mit Chateaubriands Erstling bekannt, übersetzt von Cornelia Hasting (deren Flaubert-Übertragungen für Haffmans in bester Erinnerung sind), eingeführt mit drei Texten des Autors, am Schluss mit Anmerkungen und einem in-struktiven Nachwort von Martin Ebel versehen.

Die Geschichte, die man hier kennenlernt, wird heute kaum noch jemand rühren, aber wie Chateaubriand, dieser Sprachmagier, Landschaft, Leute und Sitten beschreibt, zeigt den Meister, mit dem in Frankreich die Romantik begann.

Francois-René de Chateaubriand: Atala, Übersetzung Cornelia Hasting. Dörlemann Verlag, 192 S., geb., 20 €.