Er bekam seine eigene Lex

Michael Schwaiger stellt Leben und Werk des investigativen Journalisten Leo Lania vor

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 5 Min.

Der jüdische Schneider Moses Mendel aus dem ostgalizischen Städtchen Borutsch träumte davon, in Kiew ein Modegeschäft zu eröffnen. Darüber sollte in goldenen Lettern in Versalien prangen: »Moses Mendel - Modes und Robes«. Und während er in seinem kleinen Stübchen noch seinen Träumen nachhing, spazierte im Sommer 1917, im dritten Jahr des Ersten Weltkriegs, ein stolzer Herr herein, der sich mit »Rosenberg« vorstellte und ihn bat, das Bändchen für sein Eisernes Kreuz an seinem Uniformrock festzunähen. Mendel staunte nicht schlecht und fragte vor Erregung stockend: »Sind der Herr Offizier ... der Herr Offizier heißt doch Rosenberg ... Sind Sie vielleicht einer von unsere Leut?« Der Mann bejahte, er sei auch Jude. Mendel war außer sich: »Gott der Gerechte! Ein Jud - und Offizier. Und das Eiserne Kreuz haben Sie! Was sind der Herr Offizier für ein Offizier?« Nachdem Rosenberg antwortete, dass er soeben zum Leutnant befördert wurde, überschlug sich der Schneider vor Begeisterung: »Leutnant! Ein Jud und Leutnant! Hat man schon so etwas erlebt! Ein großes Volk, die Deutschen!« Mendels Tochter Esther musste dem Herrn Offizier brav die Hand geben. 16 Jahre später wurde der Träger des Eisernen Kreuzes, der inzwischen zum Pazifisten avancierte Rechtsanwalt Kurt Rosenberg und inzwischen mit Esther verheiratet, von deutschen Antisemiten in seiner Wohnung erschlagen.

Leo Lanias »Land of Promise« erschien 1934 in London und wurde zu einem der erfolgreichsten Bücher des deutschen literarischen Exils, hochgeschätzt von Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig und Bertrand Russell. Erst 1949 kam unter dem Titel »Land im Zwielicht« in Wien eine deutsche Übersetzung heraus. Lania erzählt eindrücklich, wie Deutschland - fokussiert auf das turbulente Berlin mit seinen rauschenden Festen, Finanzspekulationen und politischen Intrigen - in die Katastrophe des Jahres 1933 trieb. Viel Autobiografisches ist in diese Erzählung eingeflossen. Wie sein Protagonist Rosenberg wurde auch der jüdische K.-u.-K.-Unteroffizier Leo Lania an der Ostfront des Ersten Weltkrieges mit einem Orden ausgezeichnet. Geboren 1896 als Lazar Herman in Charkow, war auch er ein Grenzgänger. Nach dem Tod des Vaters 1906 übersiedelte er mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Wien, wo er die Handelsakademie besuchte. Beruflich schlug er jedoch eine ganz andere Laufbahn ein.

Schon im Ersten Weltkrieg schrieb Lania für die sozialistische »Arbeiter-Zeitung« in Wien, nach dem Krieg war er bis 1921 Redakteur bei der »Roten Fahne« der österreichischen Kommunisten. Diese Liaison endete 1921, denn Lanias Vorstellungen kollidierten mit denen der Parteifunktionäre und Emissäre der Komintern. Rückblickend schrieb er 1954 in »Welt im Umbruch. Biographie einer Generation«: »Die Masse, das Proletariat - ich begann zu verstehen, dass dies keine abstrakten Begriffe waren, sondern Einzelwesen, fühlende, denkende und leidende Menschen. Zorn überkam mich, wenn ich sah, wie die Strategen der Partei mit ihnen wie mit Zahlen operierten.« Aus dieser Perspektive, auf den konkreten Menschen blickend, ist es auch nicht verwunderlich, dass Lania seine Faschismusauffassung an Clara Zetkins »Kampf um die kleinbürgerliche Seele« orientierte und ihm eine Art antifaschistischer Hegemonie vorschwebte, die über einen langwierigen »Stellungskrieg« zu erreichen sei. Den heutigen Leser erinnert dies an den italienischen Marxisten Antonio Gramsci, den er noch nicht kannte.

Lania war einer der besten investigativen Journalisten und Schriftsteller der Weimarer Republik. Seit 1921 in Berlin lebend, schrieb er für die »Weltbühne« und leitete einige Zeit auch die »Neue Bücherschau«. 1923 suchte er, sich als ein Mussolini-Anhänger ausgebend, in München einige NSDAP-Führer auf, darunter Hitler, und wagte eine Stippvisite beim »Völkischen Beobachter«. Seine Erlebnisse und Erfahrungen bei diesen kruden Begegnungen verarbeitete er in seinen Büchern »Die Totengräber Deutschlands« sowie »Der Hitler-Ludendorff-Prozess«. 1924 publizierte er »Gewehre auf Reisen«, eine Enthüllungsgeschichte über illegalen Waffenhandel, in dem Waffenschieber, Freikorpsangehörige sowie Beamte namentlich genannt wurden. Ein Skandal. Die militärische Reaktion und die Staatsgewalt machten gegen Lania mobil. Er wurde wegen »Landesverrats« angeklagt, erfuhr aber viel Solidarität. Sein Freund Paul Levi, zu jener Zeit SPD-Reichstagsabgeordneter, bewirkte, dass am 27. Dezember 1926 eine Gesetzesnovelle im Parlament angenommen wurde, die Journalisten das Recht auf Zeugnisverweigerung als Bestandteil ihrer Berufsausübung gewährt. Diese »Lex Lania« ist in modifizierter Form noch heute gültig.

Einer Reise durch das noch von den Schlachten des Ersten Weltkrieges gezeichnete Frankreich folgte 1925 dann Lanias Bericht »Gruben, Gräber, Dividenden«, der Profiteure von Tod und Zerstörung bloßstellte. Besonders aktuell mutet im Zeitalter von Fake News die Erzählung »INDETA. Die Fabrik der Nachrichten« an, in der er offenlegte, wie eine Nachricht zur Ware wird und vor allem zu einem Instrument der Manipulation.

Lania schien rastlos tätig zu sein. Er arbeitete als Bühnenautor und Dramaturg für Erwin Piscator, Max Reinhardt und Fritz Kortner und schrieb, einem Wunsch Bertolt Brechts entsprechend, das Drehbuch für die »Dreigroschen-Oper«, die 1931 von Georg Wilhelm Pabst verfilmt wurde. Und mit dem Kameramann und Regisseur Phil Jutzi drehte er den berühmten Dokumentarfilm »Um’s tägliche Brot (Hunger in Waldenburg)«. Damit gehört er auch zu den Pionieren des deutschen Dokumentarfilms.

Kein Wunder, dass Lania ins Visier der Nazis geriet. Noch Anfang 1933 artikulierte er öffentlich sein Unverständnis darüber, dass die Antifaschisten ihre Differenzen nicht überwinden konnten; er forderte ein Zusammengehen der zwei zerstrittenen Parteien der deutschen Arbeiterbewegung mit linken Intellektuellen und aufgeklärtem Bürgertum. Da er ahnte, was ihm in Deutschland drohte, kehrte er 1932 nach einer Reise in die UdSSR nicht mehr nach Berlin zurück, sondern ging nach Wien. Aber auch in der österreichischen Hauptstadt machten ihm Nazis das Leben zur Hölle. Er flüchtete nach Frankreich, wo er mit Beginn des Zweiten Weltkrieges interniert wurde. 1940 gelang ihm die Flucht nach Südfrankreich. Über Spanien und Portugal emigrierte er in die USA. Auch dort schrieb er unentwegt und arbeitete für das Office of War Information. 1942 verfasste er seine Autobiografie »Today we are brothers«.

Lania entfernte sich zunehmend von seinen früheren Idealen, etablierte sich in der bürgerlichen Welt. 1950 in die Bundesrepublik übergesiedelt, wurde er Ghostwriter für Willy Brandt. 1960 veröffentlichte er noch eine Biografie über Ernest Hemingway. Im Jahr darauf verstarb er in München. Michael Schwaiger und dem rührigen Mandelbaum-Verlag in Wien ist es zu danken, dass an einen heute leider vergessenen, großartigen Journalisten und Literaten erinnert wird.

Leo Lania: Land im Zwielicht, 336 S., geb., 24,90 €; Michael Schwaiger: Hinter der Fassade der Wirklichkeit. Leben und Werk von Leo Lania. 461 S., geb., 24,90 €; beide Mandelbaum-Verlag.

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