nd-aktuell.de / 25.08.2018 / Kultur / Seite 15

Die wilden Jahre unter Tage

Erstes Museum zum mittelalterlichen Bergbau eröffnete im sächsischen Dippoldiswalde

Hendrik Lasch, Dippoldiswalde

Ein ganz klein wenig Bequemlichkeit muss sein - auch wenn man sich fast scheut, den Begriff zu benutzen. Im neuen »Museum für mittelalterlichen Bergbau« im Schloss von Dippoldiswalde steht eine kleine Bank aus Holz, knapp 30 Zentimeter breit und nur eine Handbreit hoch. »Ein Häuerbänkchen«, sagt Cornelia Rupp von Sachsens Landesamt für Archäologie, Ko-Kuratorin der Ausstellung. Auf das Minimöbel hockten sich die Bergleute, die vor 850 Jahren im Erzgebirge nach Silbererz zu suchen begannen, bei ihrer Arbeit unter Tage.

Diese fand unter schwierigsten Bedingungen statt. Die Gänge waren eng, dunkel und stickig; ihr Vortrieb verschlang unendlich viel Zeit. Bei einer 40 Meter langen Strecke unter dem Ort Niederpöbel hat man den Altersunterschied verbauter Hölzer am Anfang und am Ende des Ganges bestimmt, sagt Christiane Hemker, die zuständige Projektleiterin im Landesamt. Ergebnis: Der Vortrieb dauerte 18 Jahre; rechnerisch kam man sechs Millimeter am Tag voran. Es war, sagt Hemker, »wirklich ein harter Job«.

Zu solchen und anderen Details des frühen Bergbaus im Erzgebirge gab es lange Zeit Spekulationen und Hypothesen, aber keine harten Fakten - es fehlte an originalen Zeugnissen aus der Zeit. Für Erkenntnisgewinn sorgte ausgerechnet die Flut 2002, die ausgelöst wurde durch Sturzregen im Osterzgebirge. Er sorgte um Dippoldiswalde für Tagesbrüche. Auf der Suche nach Ursachen für dieses Absacken des Bodens stieß man auf eine Sensation - eine, wie es nun in der Schau heißt, »unberührte mittelalterliche Bergbaulandschaft, die völlig vergessen war«. Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts »Archaeo-Montan« wurde sie von 2012 bis 2018 untersucht. Das neue Museum präsentiert die Erkenntnisse - als erstes und einziges seiner Art in der Bundesrepublik. Vergleichbares, sagt Sachsens Landesarchäologin Regina Smolnik, »gibt es bisher nicht«.

Erstes Zeugnis für das »erste Berggeschrey« im Erzgebirge ist eine Urkunde über einen Grundstückstausch - besser: Rücktausch. Markgraf Otto von Meißen hatte den Zisterziensern 1162 einen Teil des Waldgebietes entlang des Erzgebirgskammes abgetreten, das er zuvor vom Kaiser bekommen hatte und das nun urbar gemacht werden sollte. Ausgerechnet dort stießen die Siedler auf Silbererz. In einer Urkunde wurde im August 1165 die Rückgabe an Otto besiegelt. Darin, sagt Cornelia Rupp, »sind die Silberfunde erstmals erwähnt«.

Der Markgraf ließ die Kunde verbreiten und lockte so Spezialisten aus Bergbaugebieten wie Harz, Schwarzwald und Italien an. Diesen wurde zugesichert, dass sie das wertvolle Erz ungeachtet der Besitzverhältnisse an Grund und Boden aufspüren durften. Ansonsten, sagt Smolnik, handelte es sich um wilden und ungeregelten Bergbau, um ein »fröhliches Vorangehen entlang der Erzadern«. Das sei »sehr gefährlich« gewesen - und ist es für die Orte über Tage bis heute, weil unbekannt ist, wo die frühen Gruben liegen. Begehbar sind sie aus diesem Grund und wegen der Enge nicht; Sachsens Bergbehörden wollen sie verfüllen. Die Archäologen, sagt Smolnik, konnten »für einen kurzen Moment« in die Frühzeit des Bergbaus im Erzgebirge hineinschnuppern; die breite Öffentlichkeit muss sich auf die Präsentation in einem Museum verlassen.

Die Schau sucht deshalb vor allem darzustellen, unter welchen Bedingungen und mit welchem Gerät der Bergbau erfolgte. Anders als nach dem »zweiten Berggeschrey« um das Jahr 1500 konnten die Bergleute noch nicht auf Pferdegöpel und Wasserkraft zurückgreifen, um Erz und Abraum aus den bis zu 30 Meter tiefen Schächten zu befördern. »Man musste sich auf die menschliche Kraft verlassen«, sagt Rupp. Zu den wenigen Hilfsmitteln zählten Haspeln: hölzerne Seilwinden, mit denen die Eimer in die Höhe befördert wurden - freilich ohne Getriebe. Große Teile einer solchen Haspel haben die Archäologen in einem der Gänge im Untergrund des Osterzgebirges gefunden - in der feuchten Umgebung und unter Sauerstoffabschluss bestens erhalten. Ein raffiniertes, aber zeitaufwendiges Verfahren sorgte dafür, dass die Haspel jetzt im Museum zu sehen ist.

Erhalten haben sich auch Teile der Werkzeuge, etwa von Schlägeln und Bergeisen, deren Metallspitzen sich am harten Gestein so schnell abnutzten, dass die Bergleute stets Ersatzteile mit sich führten; auch diese wurden gefunden. Die Forscher stießen zudem auf Lederteile, die zu Stiefeln gehörten und deren Rekonstruktion zuließen. Ein Exemplar steht in der Ausstellung - es würde heute nur an einen Kinderfuß passen. Ob Kinder in jener Zeit unter Tage geschickt wurden, ist unklar. In zeitgenössischen Darstellungen, sagt Cornelia Rupp, tauchen sie nur in Einzelfällen auf. Zu den berühmtesten dieser Abbildungen zählt das »Kuttenberger Kanzionale«, eine Art Wimmelbild von 1490. Genau so, wie die Arbeit unter Tage dort dargestellt wurde, »haben wir sie jetzt bestätigt gefunden«, sagt Rupp.

Als das Bild entstand, war das »erste Berggeschrey« im Erzgebirge freilich bereits Geschichte: Um 1400 kam der Bergbau für fast ein Jahrhundert zum Erliegen - vielleicht, weil das nötige Holz fehlte. Der Bergbau brachte für die Region gravierende Umweltfolgen durch Raubbau am Wald und zahlreiche Köhlereien. Zugleich aber, so zeigt die Schau, brachte er wirtschaftlichen Aufschwung und Wohlstand in eine Gegend, über die Markgraf Otto zuvor gesagt haben soll: »Wald, Wald, nichts als Wald.« Auf der Arbeit der Bergleute, sagt Smolnik, »beruhte der Reichtum Sachsens«. Da darf man ihnen wohl auch zubilligen, sich diese mit einem Häuerbänkchen etwas zu erleichtern.