Kreatürliches Schicksal spiegelnd

Erhard Post und Marion Gamerschlag in der Galerie ART CRU Berlin

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Ist Erhard Post ein naiver Maler? Aus seinen Bildern spricht mehr als Naivität, ein mystisches Eindringen in die Geheimnisse der Natur, die oft zum allegorischen Gleichnis der Menschenseele wird. Symbolhafte und surreale Züge werden sichtbar, die eigentlich das Gegenteil von Naivität erweisen und den Künstler zum Außenseiter machen. Es gibt ja kein »absichtsloses« Malen. Seine naiv karikierende Kindlichkeit hat Moritatencharakter und steht damit gesellschaftskritischen Tendenzen nahe. Doch fehlt seinen Bildern der mit Fluchtperspektive konstruierte Raum, die Schattenmodellierung, die tastbare Stofflichkeit, der anatomische Funktionalismus, dafür bilden sie mit unmissverständlicher Freude Figuren, Köpfe, Ereignisse und Situationen ab, ohne sich viel um die unwichtige künstlerische Bewältigung zu kümmern. Diese Darstellungen wirken eigentlich wie Bilderschrift: der Betrachter kann sofort ablesen, was geschehen ist.

Wie Post unvoreingenommen seine Objekte - Menschen wie Tiere - betrachtet und mit einer bestimmten Vorstellung von Naturrichtigkeit an die schwierigsten künstlerischen Probleme herangeht und sich mit der gleichen Freiheit weder um Perspektive noch Schwerkraft noch Proportionen kümmert, das erweckt schon Bewunderung. In seiner Kunst mischt sich individuell Spontanes mit allgemeinen traditionellen Zügen, Komposition wird nach dem Prinzip additiver Reihung aufgebaut, wobei jedes Element, jedes Detail einzeln gesehen wird und deshalb zu den Nachbarelementen in ganz verschiedenem räumlichen und auch zeitlichen Zusammenhang stehen kann.

Bei Post ist der Weg vom Abbildhaften zum Zeichenhaften deutlich zu verfolgen, und in der Natur dieser Zeichen bleibt das Abbildhafte erkennbar, verdichtet zum psychisch-assoziativen Element. Er entwickelt seinen Vorrat von Formsymbolen im engsten Anschluss an die körperhafte Wirklichkeit des Menschen, Zeichen für Kopf, Auge, Nase, Mund, Arme, Beine, Zeichen für das Kreatürliche wie den Hund. Katze und Schlange, für das Kosmische wie Stern, Mond, Sonne. Mit diesen Elementen, wie traumhaft zu einem präzisen Bildaufbau zusammengefügt, beschwört er seine Wirklichkeit. Die wenigen Elementarfarben blau, zinnoberrot, gelb, grün und schwarz sind sparsam, aber unfehlbar eingesetzt. Viele Zeichen blicken den Betrachter unmittelbar an, oft wie Hilfe suchend, aber auch heftig gestikulierend, sie handeln so aus dem Bild heraus, während sie gleichzeitig in einer Handlung im Bild beteiligt sind, die kreatürliches Schicksal spiegelt.

Kaum ein Künstler schweigt so wie Post, verzichtet auf Selbstinterpretationen und identifiziert sich so ganz mit den Gestalten seiner Bildwelt, die, beunruhigend wie bedrängend, alle Skalen der Empfindung und Stimmung beherrschen, von melancholischer Traurigkeit bis zu heftigem Gefühlsausbruch, weniger zu unbeschwerter Heiterkeit neigend.

Marion Gamerschlag, die wie Erhard Post seit einigen Jahren in der Kunstwerkstatt des Tagungszentrums der Albert-Schweitzer-Stiftung im Nordwesten Berlins arbeitet, ist Malerin und Zeichnerin zugleich. Ihre Farben trägt sie nass auf die Fläche auf, und durch das Ineinanderlaufen, der Zerfließen der einen Farbe in die andere und das Erstarren im Vorgang wird das Bild zu einem Gleichnis der die Materie unterwerfenden Gesetze der Schöpfung.

Mal dünnere, mal stärkere Umrisslinien - Netzwerke - lassen dann einen Raum entstehen, der eines der eigentümlichsten Phänomene ihrer gegenstandslosen Kunst ist. Denn der Raum entsteht hier durch das optische Erlebnis der sich überschneidenden Linien, die man als verschiedenen Ebenen zugehörig empfindet, zwischen denen Raum eingeschlossen ist. Die Experimente der Künstlerin führen bis zur Ausnutzung selbst der mechanischen Pendelbewegung. Doch gibt es hier keinen Zufall der Sinnlosigkeit und des Unabsehbaren, sondern die Künstlerin wird in dauernder Reaktion und Wachheit zu dem gezwungen, was hier dauernd geschieht und entsteht. Die Linien von Marion Gamerschlag sind behutsame Action Painting, Bewegungen der Hand, die gleichsam innere Gesichte niederschreibt. Alles ist voller Einfälle, ein Herauswachsen eines Elementes aus dem anderen, eine unendliche Kette von Assoziationen.

Rot und Gelb regen in ihrer drängenden Bewegungsfülle zu spontanem, impulsivem Verhalten an, setzen die seelische Dynamik in Bewegung und treiben zur Handlung. Gelb strahlt nach außen, verbraucht sich aber schnell nach allen Seiten. Dagegen ist Rot die Farbe der lebenskräftigen Bewegung, die Erscheinung der vitalen Energie, kann aber auch etwas Zwingendes Gewaltsames, ja Drohendes haben. Im Gegensatz zum aktiven Gelb-Rot sind Blau-Grün passive Farben, doch von unterschiedlicher Verhaltensform. Während Grün von sich selbst erfüllt in sich selbst ruht, macht Blau den Eindruck, als ströme es zur Einheit und löse sich in diesem unendlichen Ausströmen auf. Man kann gegen eine solche psychologische Deutung der Kunst Bedenken anmelden, doch je gegenstandsfreier eine Farbe auftritt, desto unmittelbarer sehen sich Künstler wie Betrachter mit ihr konfrontiert und zur Reaktion veranlasst.

Marion Gamerschlag arbeitet mit den Fingern, Händen, Handflächen, Armen, sie legt sich sogar mit ihrem Körper auf die Bildfläche. Sie reibt, presst, wischt, reißt die Oberfläche auf, so dass partienweise die unteren Farbschichten wieder stärker sichtbar werden. Es entstehen Schicksalsbilder, wie alte Mauern ihr Schicksal haben. Das sind Bilder mit einer großen handschriftlichen Geste, mit komplizierten Durchdringungen und Überschneidungen, eine Übertragung der psychischen Aktion in die große Bildform, die man sonst nur im kleinen Format der Handschrift gewohnt ist.

Bis 1. September, Galerie ART CRU, Kunsthof Oranienburger Straße 27, Mitte

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