nd-aktuell.de / 29.08.2018 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

Anzeigen sollen einschüchtern

Frauenärztinnen wehren sich gegen Informationsverbot zu Schwangerschaftsabbrüchen

Ulrike Henning

Ab 9 Uhr findet an diesem Mittwoch vor dem Kasseler Amtsgericht die Verhandlung gegen die Frauenärzt-innen Nora Szász und Natascha Nicklaus statt. Sie wurden angezeigt, weil sie auf der Homepage ihrer Praxis einen Hinweis darauf geben, dass sie als Medizinerinnen auch Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Das ist nach dem Werbeverbotsparagrafen 219a strafbar. Die Gerichtsverhandlung wird von Solidaritätsaktionen begleitet. Das Bündnis »Weg mit dem 219a« hat ab 8.15 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Amtsgericht aufgerufen. Schon am letzten Sonnabend nahmen Hunderte Menschen an einer »Nachttanzdemo« für körperliche Selbstbestimmung und einem Solidaritätsfest teil, zu dem die Gruppe »Feminism Unlimited Kassel« eingeladen hatte.

Nora Szász hatte vorab bereits gesagt, dass sie dem Verfahren mit Zuversicht entgegensähe. Viele ihrer Kollegen seien jedoch durch Anzeigen von Abbruch-Gegnern in der Vergangenheit stark eingeschüchtert worden. Derartigen Versuchen müsse Einhalt geboten werden. Die Solidarität mit Szász und ihrer Kollegin ist in der hessischen Stadt und darüber hinaus groß. Ärzte, Frauenbündnisse, Studierende, Politiker und Patientinnen haben sich angeschlossen.

Auf der heutigen Kundgebung in Kassel wird auch Cornelia Möhring sprechen. Die LINKEN-Abgeordnete im Bundestag hatte vor einem Jahr bei der Bundesregierung nach der Entwicklung der Anzeigen gegen Ärztinnen und Ärzte im Zusammenhang mit dem Paragrafen 219a gefragt. Sie verfolgt auch den Gang des Verfahrens gegen die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel. Hier wurde das Berufungsverfahren gerade verschoben. Möhring geht davon aus, dass es am ersten Verhandlungstag zu einem Urteil kommen wird. Aus ihrer Sicht habe der Paragraf 219a die Funktion, jede Information zu möglichen Schwangerschaftsabbrüchen als Werbung darzustellen. »Der einzige Weg, hier voranzukommen, ist die Streichung des Paragrafen selbst. Das wird im Bundestag von der SPD aufgehalten.« Das Thema werde im Herbst in verschiedenen Ausschüssen des Parlaments eine Rolle spielen. Die LINKE plant einen Streichungsantrag im Bundestag. Möhring beteiligt sich auch an den Protesten gegen den Paragrafen, weil die Versorgung von ungewollt Schwangeren, die einen Abbruch wünschen, immer schwieriger wird. »In Bayern müssen Frauen über 200 Kilometer fahren, auch in meiner Heimat Schleswig-Holstein wird das Angebot immer schlechter.« Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Arztpraxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, um 40 Prozent zurückgegangen, von 2000 auf 1200.

Kassel selbst sei dagegen noch relativ gut versorgt, auch, weil die Ärzt-innen ja weiter Abbrüche durchführen dürfen, so Möhring. Sie vermutet, dass es keinen Freispruch gibt. Eine Geldstrafe wäre aus ihrer Sicht naheliegend. Viel sinnvoller erscheint ihr, wenn das Gericht eine Entscheidung auf dieser Ebene nicht für möglich hielte und eine höhere Instanz in dieser Frage anrufen würde.

Auf der Kundgebung vor dem Amtsgericht wird ebenfalls Anne Janz sprechen. Die Grünen-Politikerin ist seit 2004 Stadträtin unter anderem für Frauen und Gesundheit in Kassel. Sie zeigt sich solidarisch, weil die angeklagten Ärztinnen sich über die reine Praxistätigkeit hinaus für Frauen engagieren. »Dass ein Paragraf im Strafrecht so gefasst ist, dass man mit ihm Ärztinnen und Ärzte kriminalisieren kann, die einfach nur über ein Angebot ihrer Praxis informieren, kann aus meiner Sicht so nicht bleiben, auch um das deutlich zu machen, beteilige ich mich an der Kundgebung.«

Gemeinsam mit anderen Fraktionen im Stadtparlament, deren Parteien eine Veränderung oder Abschaffung des Paragrafen 219a fordern, habe man, auch mit den Ärzt-innen, eine lokale Position entwickelt. »Wir informieren als Stadt über die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, die ohnehin angelaufen werden müssen, und die die Frauen dann weiter informieren. Aber wir stellen keine Liste mit Praxen ein, die Abbrüche vornehmen. Denn wir brauchen hier keine Umgehungen des Problems, sondern der Paragraf 219a kann so nicht bleiben.«

Die Bundesländer sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Versorgung auch im Fall von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Doch fast die Hälfte der Länder erhebt noch nicht einmal die Kontaktdaten der Frauenärzte, die in Frage kommen. Nur Berlin und Hamburg stellen entsprechende Listen online.