nd-aktuell.de / 19.05.2007 / Wissen

Die Ordnung der Natur

Vor 300 Jahren wurde der schwedische Botaniker Carl von Linné geboren

Martin Koch
In der Geschichte hat es nicht wenige Versuche gegeben, die Pflanzen und Tiere dieser Welt wissenschaftlich zu benennen. Allerdings glichen die Namen oft einer Beschreibung der betreffenden Art und waren daher lang und umständlich. Die Rote Johannisbeere etwa wurde nach einem Vorschlag des Schweizer Botanikers Caspar Bauhin (1560-1624) als »Grossularia, multiplici acino: seu non spinosa hortensis rubra, seu Ribes officinarium« bezeichnet. Und damit als ein Gewächs, welches zahlreiche Trauben besitzt, rot und dornenlos ist, im Garten vorkommt und für medizinische Zwecke verwendet werden kann. Es war der schwedische Naturforscher Carl von Linné, der Mitte der 18. Jahrhunderts die Artenbenennung erstmals konsequent von der Artenbeschreibung trennte. Genauer gesagt: Er gab jeder Spezies einen aus zwei Wörtern bestehenden lateinischen Namen (binäre Nomenklatur). Das erste Wort, ein Substantiv, kennzeichnet dabei die Gattung, das zweite, ein Adjektiv, die Art. Seither heißt die Rote Johannisbeere kurz und knapp »Ribes rubrum«, wobei »Ribes« für die Gattung der Johannisbeeren steht, während »rubrum« anzeigt, dass es sich um die Rote Johannisbeere handelt. (Die Schwarze Johannisbeere wird dagegen als »Ribes nigrum« bezeichnet.) Nun hat, wie man hinzufügen muss, Linné die binäre Nomenklatur nicht erfunden. Er hat sie jedoch als Erster zum Prinzip erhoben und dieses auf die damals bekannten rund 13 000 Pflanzen- und Tierarten angewandt. Damit leistete er einen wichtigen Beitrag zur Begründung der später als Biologie bezeichneten Wissenschaft vom Lebendigen, urteilt die Berliner Biologiehistorikerin Ilse Jahn: »Die modernen Regelwerke für Nomenklatur in den Biowissenschaften gehen alle in ihren Grundsätzen auf Linné zurück.« Am 23. Mai 1707 wurde Carl von Linné als Sohn eines Pfarrers in dem schwedischen Ort Rashult geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums nahm er an der Universität Lund ein Medizinstudium auf, welches er nach zwei Semestern an der größeren Universität Uppsala fortsetzte, die zudem einen Botanischen Garten besaß. Denn das Pflanzenstudium war sein großes Steckenpferd. Er vertiefte sich daher mit Hingabe in die Schriften des französischen Botanikers Sébastien Vaillant über die Blütenorgane der Pflanzen und deren Funktion als männliche und weibliche Sexualstrukturen. 1730 schrieb er zu diesem Thema auch seine erste kleine Abhandlung, die den schönen Titel »Präludia sponsolarium plantarum« trägt, sich also mit der »Hochzeit der Pflanzen« beschäftigt. Nach einer fünfmonatigen Lapplandreise, bei welcher er über 100 neue Pflanzen entdeckte, weilte Linné von 1735 bis 1738 in den Niederlanden. Hier wurde er mit einer Arbeit über die Ursachen des Wechselfiebers auch promoviert. Anschließend ließ er sich in Stockholm als Arzt nieder und gelangte in dieser Eigenschaft zu der seinerzeit erstaunlichen Vermutung, dass Krankheiten wie Pocken, Masern, Ruhr oder Pest von kleinsten Lebewesen verursacht sein könnten. 1741 ging Linné an die Universität Uppsala und lehrte dort zunächst praktische Medizin und dann Botanik. Trotz zweier Schlaganfälle blieb er bis zu seinem 70. Lebensjahr wissenschaftlich aktiv. Danach zog er sich aus dem akademischen Leben zurück und starb am 10. Januar 1778 in Uppsala. Seinen wissenschaftlichen Nachlass erwarb übrigens die Linnean Society in London, die am 1. Juli 1858 eine historische Sitzung abhielt. Dabei verlas der Sekretär der Gesellschaft zwei Aufsätze: einen von Alfred Russel Wallace und einen von Charles Darwin, in dem dieser erstmals sein Grundkonzept von der Entstehung der Arten der Öffentlichkeit vorstellte. Für Linné hingegen waren alle Pflanzen und Tiere als Geschöpfe Gottes unveränderlich: »Wir können nur so viele Arten zählen wie am Anfang gemacht wurden.« Erst gegen Ende seines Lebens hegte der Forscher leise Zweifel an der Konstanz der Arten und wollte nicht mehr ausschließen, dass Umwelteinflüsse durchaus zu Abweichungen vom Standardtypus führen können. Schon in der ersten Auflage seines »Systema naturae« (1735) brachte Linné alle damals bekannten Arten in eine hierarchische Ordnung. An die Spitze stellte er ganz allgemein die Mineralien, Pflanzen und Tiere, die »Reiche« der Natur, die er wiederum in Klassen, Ordnungen, Gattungen und Arten unterteilte. Später wurde dieses System weiter verfeinert. So findet man heute zwischen Reich und Klasse den Stamm, zwischen Ordnung und Gattung die Familie. Der Löwe zum Beispiel gehört nach dieser Klassifikation zum Reich der Tiere, zum Stamm der Wirbeltiere, zur Klasse der Säugetiere, zur Ordnung der Raubtiere, zur Familie der Katzen und zur Gattung der Großkatzen. Indem Linné auch den Menschen in sein System einbezog und als »Homo sapiens« den Primaten zuordnete, machte er seinen schockierten Zeitgenossen deutlich (und das immerhin über 100 Jahre vor Darwin!), dass die »Krone der Schöpfung« letztlich als zoologisches Objekt anzusehen ist. In seiner Grundstruktur hat sich das von Linné entwickelte Ordnungssystem der Arten bis heute bewährt. Gleichwohl sind im Einzelfall immer wieder Korrekturen nötig, wie folgendes Beispiel zeigt: Traditionell werden Eisbär (Ursus maritimus) und Braunbär (Ursus arctos) verschiedenen Arten zugerechnet. 2002 hat eine Gen-Analyse jedoch ergeben, dass manche Braunbären mit Eisbären näher verwandt sind als mit ihresgleichen. Außerdem konnten US-Forscher kürzlich nachweisen, dass Eis- und Braunbär sich nicht nur im Zoo, sondern bisweilen auch in der Wildnis paaren und dabei fruchtbare Nachkommen zeugen. Diese sind ein schöner Beleg dafür, dass die Natur eben weitaus komplexer ist als das Linnésche System.