Polizeihund auf Crystal Meth

Die Animationsserie »Paradise PD« gibt ein Polizeirevier komplett dem Wahnsinn preis

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Man muss sich mal (rein hypothetisch) vorstellen, im krimisüchtigen Deutschland käme jemand auf die Idee, eine fiktionale Polizeiwache wie folgt zu besetzen: Inkontinenter Lustgreis plus mannstolle Psychopathin plus adipöser Depp plus neurotischer Yogi plus cholerischer Boss, dem der untergebene Sohn als Kind die Eier, pardon: Testikel weggeballert hat. Am Mainzer Lerchenberg käme der Personalchef dieser Belegschaft bei Wasser und Brot in die Ausnüchterungszelle. Selbst RTL böte ihm allenfalls einen Job in der Kleiderkammer von »Promi-Big-Brother« an. Bei Netflix hingegen sind Angestellte wie diese nicht nur herzlich willkommen - im »Paradise PD« dürfen sie sogar richtig die Sau rauslassen.

»Paradise« steht dabei für den Handlungsort im schwül-heißen Süden der USA, »PD« ist die Abkürzung für »Police Department«. Der Serientitel steht also für das anarchistischste Revier der Fernsehhistorie, im Vergleich zu dem sogar Lt. Drebin aus der Filmkomödie »Die nackte Kanone« ein prinzipientreuer Paragrafenreiter wäre. Das liegt natürlich zum einen an den Möglichkeiten, die der Zeichentrickstil bietet. Zum anderen aber garantieren die Showrunner Waco O’Guin und Roger Black seit ihrer Naturschutzpersiflage »Brickleberry« gehobenen Irrsinn für Erwachsene.

Gleich zu Beginn von »Paradise PD« nämlich schießt der kleine Kevin Crawford seinem Vater versehentlich so zwischen die Beine, dass aus dem stattlichen Leiter der örtlichen Polizeistation ein teigiger Trottel wird, dessen Ex-Frau beruflich und privat erfolgreicher ist als ihr emotional gestörter Ex-Mann. »Ich bin ein geschiedener Kerl ohne Eier, der sein Testosteronpflaster tragen muss, damit ihm der Schnauzbart nicht abfällt«, antwortet er Kevin auf die Frage, wie es »meinem Lieblingsdad« gehe, und fügt hinzu: »Ich scheiße Regenbogen!« In diesem Tonfall schlittert Chief Randall gemeinsam mit seinem Team ausgewiesener Knalltüten, zu dem sich auch Kevin bald gesellt, in ein tagtägliches Chaos, dessen Absurdität selbstredend rauschhafter zu zeichnen als zu filmen ist.

Doch selbst im Metier bizarrer Animation balanciert »Paradise PD« so waghalsig über den Abgrund des guten Geschmacks, dass permanent der Absturz droht. Wenn die Cops dem örtlichen Meth-Ring nachjagen, frisst der sprechende Polizeihund einer Altenheim-Insassin die Psychopharmaka weg und klaut auch sonst alle Drogen aus der Asservatenkammer, während nebenbei ständig gekotzt, geflucht, gekackt, gehurt, geprügelt wird. Obdachlose, Rentner, Behinderte, Hinterwäldler kriegen ebenso ihr Fett weg wie die Staatsmacht und ihre spießbürgerlichen Schutzobjekte. Selbst ähnlich derbe Erwachsenen-Comics wie »South Park« oder »American Dad« wirken im Vergleich dazu fast empathisch.

Dass »Paradise PD« dennoch selten in die Gehässigkeit abdriftet, hat einen Grund: Weil am Ende jeder, wirklich jeder zum Gegenstand zynischer Zoten wird, sind alle Hierarchien aufgelöst. Niemand ist davor gefeit, durch den Fleischwolf des Spotts gedreht zu werden. Gegen den Wahnsinn da draußen hilft bekanntlich oft nur eins: Lachen.

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