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Den Laden dicht halten

0:0 gegen Weltmeister Frankreich: Joachim Löw setzt erstmal lieber auf Organisiertheit statt auf Originalität

  • Frank Hellmann, München
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass in München demnächst das Oktoberfest startet, ist kaum zu übersehen. An Bahnhöfen und Straßenecken hängt bereits die Trachtenbekleidung für ein Volksfest, das die bayerische Landeshauptstadt alljährlich in den Ausnahmezustand versetzt. Nun ist nicht genau auszumachen, wie viel Vorfreude auf den demnächst beginnenden Frohsinn auf der Theresienwiese bis in die Arena in Fröttmaning geschwappt ist, aber die Feierlaune von knapp 68 000 Tribünengästen ist denn mal verbürgt.

Wer zuvor geunkt hatte, für den Auftakt der Nations League gegen Frankreich gäbe es keinen schlechteren Ort als dieses vom FC Bayern verwöhnte Stadion, der muss nach der Nullnummer zwischen dem entthronten und dem amtierenden Weltmeister festhalten: Selten hat die deutsche Nationalmannschaft in jüngerer Vergangenheit einen derartigen Rückhalt gespürt wie bei der bloßen Rückbesinnung auf die Elementartugenden gegen den eigentlich enteilten Nachbarn.

Choreographie, Sprechgesänge, Klatschparaden und Ovationen, die sogar die Einwechslung des vor drei Monate noch ausgepfiffenen Ilkay Gündogan (»Heute kann ich mit einem Lächeln nach Hause fahren.«) umgaben - perfekte Untermalung für eine vielleicht wegweisende Nullnummer. Der Neustart unter Joachim Löw mit dem Einsatz von sieben WM-Versagern, die im russischen Kasan gegen Südkorea das erste Vorrundenaus der Geschichte zu verantworten hatten, glückte im Münchner Norden. »Mit dem Ergebnis und dem Spiel kann ich sehr gut leben«, konstatierte der Bundestrainer, der eine Mannschaft sah, »die verlorenen Kredit zurückgewonnen hat« - mit der simplen Methode, defensive Stabilität als erste Bürgerpflicht eines deutschen Nationalspielers zu verordnen. »Das ist für jede Mannschaft der Welt tatsächlich die Grundvoraussetzung und alles kein Hexenwerk im Fußball. Es gibt Grundtugenden, die immer da sein müssen, auch wenn die Null nicht immer stehen muss«, analysierte der bei der WM vergeblich mahnende Abwehrchef Mats Hummels.

»Es war uns bewusst, dass die Mannschaft wieder eine andere Einstellung, ein anderes Gesicht, ein anderes Verhalten zeigen musste«, dozierte Löw, der Organisiertheit über Originalität, Kampf über Kreativität stellte. War das wirklich der Ästhet, der da auf dem Podium im Pressekonferenzsaal mit den grauen Klappstühlen sprach? Der Verrat an seinen Grundsätzen war nach seiner Selbstanklage an selber Stelle zwar beinahe logisch, aber in dieser Stringenz bei einem 58-Jährigen dann doch ein Stück weit überraschend.

Offenbar haben drei Trainingseinheiten und einige Unterredungen genügt, um der gegen den Ball ausgerichteten 4-5-1-Formation die moderne Lehre näher zu bringen. »Wir haben vor allem auf Kontervermeidung gespielt«, erklärte der vor allem als Fleißarbeiter aufgefallene Thomas Müller, »damit wir nicht mit acht Mann angreifen und zwei alleine hinten lassen.« Das Kardinalproblem bei der Weltmeisterschaft mit dem bekannt unschönen Ausgang. »Ein erster Schritt auf die Fußball-Nation zu« sei das gewesen, meinte Müller noch, der ja zu jener Achse gehörte, der Löw aus gutem Grund vertraute.

Ein fehlerloser Torwart Manuel Neuer, ein umsichtiger Abwehrchef Mats Hummels, ein aufmerksamer Nebenmann Jérôme Boateng, ein Ballverteiler Kroos und eine Allzweckwaffe Müller bilden immer noch Akteure besonderer Güte. »Es ist wichtig, solche Spieler in der Mannschaft zu haben, die mit ihrer Klasse dagegen halten können«, lobte Löw. »Aber natürlich muss man nach und nach die Jungen forcieren.«

Mutmaßlich dürfen sich nun im Freundschaftsspiel gegen Peru (Sonntag 20.45 Uhr) in der Arena in Sinsheim der Nachrücker Leroy Sané, der Lokalmatador Nico Schulz und der Hochbegabte Kai Havertz zeigen, den Löw schon mal als einen »der talentiertesten Spieler überhaupt« heraushob.

Sie nicht mit der Drucksituation gegen den Weltmeister in einem neuen Wettbewerbsformat zu konfrontieren war genauso richtig wie die Reminiszenz an die »Ochsen-Abwehr« der WM 2014. In Brasilien hatten Shkodran Mustafi und Benedikt Höwedes die Viererkette mit dem Bayern-Block Boateng und Hummels komplettiert, ehe Mustafis Verletzung im Achtelfinale gegen Algerien den Bundestrainer zu seinem Glück zwang, Philipp Lahm wieder aus dem defensiven Mittelfeld auf die angestammte Position des rechten Verteidigers zurück zu beordern.

Diesmal ging die Löw-Rochade genau anders herum: Weil Joshua Kimmich als spielintelligente Absicherung im defensiven Mittelfeld benötigt wurde (»Es war für mich schon ein Gedanke nach der WM, weil wir im taktischen Bereich Maßnahmen ergreifen mussten.«) und Jonas Hector sich nicht gut genug fühlte, rückten Matthias Ginter und Antonio Rüdiger auf die Außenbahnen. Einzige Aufgaben: den Laden hinten dicht halten. Dass deren Vorstöße über die Mittellinie teilweise so plump aussahen wie die Anmachversuche der meisten Oktoberfestbesucher, stand auf einem anderen Blatt. »Immer und dauerhaft wird das nicht der Fall sein«, beruhigte Löw. Wohl wissend, dass das Publikum anderswo schon bald eine andere Erwartungshaltung gegenüber seiner Mannschaft aufbringen wird.

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