nd-aktuell.de / 08.09.2018 / Politik / Seite 21

Brennende Autos, frohlockende Rechte

Schweden wählt, die Stimmung ist angespannt wie selten zuvor

Birthe Berghöfer, Malmö

Am Montagabend des 13. August wird Timo Lyyra von seinem zehnjährigen Sohn angerufen. Vor dem Fenster seiner Wohnung in Frölunda, einem Stadtteil von Göteborg, brennen Autos, angezündet von einer Gruppe schwarz gekleideter und maskierter Jugendlicher. Mehrere Knalle, die Alarmanlagen einiger Autos hallen über den Parkplatz der Wohnanlage. »Wenn das direkt vor deinem Schlafzimmer passiert, wenn es zu dir nach Hause kommt, kriegst du richtig Angst«, erzählt Lyyra später im Interview mit der Nachrichtenseite »The Local«.

Insgesamt 80 Autos brennen in dieser Nacht in Göteborg. Viele weitere in Stockholm, Uppsala sowie kleineren Städten Schwedens. In sozialen Medien wird schnell über die Täter und deren politische Motive spekuliert. Der Abgeordnete der linken Vänsterpartiet Daniel Riazat twittert noch am selben Abend, er sei nicht überrascht, falls die Ereignisse mit Rechtsextremen in Verbindung gebracht werden könnten. Augenzeugen hätten angeblich das Logo der rechtspopulistischen Partei Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten, SD), eine blaue Blume mit gelbem Kern, auf der Kleidung einiger Täter erkennen können. Die Vermutungen über mögliche Motive reichen von Fremdenhass bis zur gezielten Inszenierung von Kriminalität durch Anhänger der Partei. Wenige Tage später stellt sich das Ganze anders dar: Drei mutmaßliche Täter, zwischen 16 und 21 Jahren alt, werden festgenommen, einer wurde an der Grenze zur Türkei aufgegriffen. Außerdem ist ein Bekennervideo öffentlich geworden, in dem sich ein maskierter Mann an Polizei, Gesellschaft und Politiker richtet: »Werden wir wie Tiere behandelt, dann benehmen wir uns wie Tiere.«

Dass die Spekulationen über Motive und Nationalität der Täter sofort ins Kraut schießen, ist - wie auch die Tat selbst - wie ein Gleichnis auf die Stimmung im Land. Kurz vor den Wahlen zum schwedischen Reichstag am 9. September ist diese angespannt und polarisiert wie selten zuvor. Umfragen prognostizieren den Schwedendemokraten - einer Partei mit Wurzeln in der rechtsextremistischen Szene - einen Zugewinn an Stimmen, der sie zur zweitstärksten, wenn nicht sogar stärksten Partei Schwedens machen könnte.

Zwar haben die SD bereits seit 2010 Abgeordnete im Reichstag. In der folgenden Wahlperiode erlangten sie 12,9 Prozent und sind damit längst im Parlament vertreten, ihr Einfluss blieb bislang jedoch ohne die Zusammenarbeit mit anderen Parteien begrenzt. Wegen mangelnder Koalitionspartner werden sie auch jetzt kaum an die Macht kommen. Dennoch: Wenn die Rechtspopulisten die prognostizierten rund 20 Prozent erreichen, wird dies das gängige politische Gefüge erheblich durcheinanderbringen. Denn die zukünftige Regierung muss im an Minderheitenregierungen gewohnten Schweden sicherstellen, dass sie keine Parlamentsmehrheit gegen sich hat. 20 Prozent wären da schon einiges an Macht für die Rechten.

Mit den Ereignissen in Frölunda und anderen Städten erhalten im Endspurt des Wahlkampfes erneut die Themen Aufmerksamkeit, mit denen sich die Rechten profilieren: Kriminalität, Migration und Integration. Gleichzeitig haben die SD seit ihrem ersten Einzug in den Stockholmer Reichstag erheblich an ihrem Image gearbeitet. Regelmäßig werden Parteimitglieder ausgeschlossen, die sich öffentlich rassistisch oder antisemitisch äußern, und längst positionieren die Schwedendemokraten sich nicht mehr nur zum Thema Einwanderung, sondern auch zum Gesundheits- und Bildungswesen - Umfragen zufolge eigentlich jene Themen, die den Menschen besonders am Herzen liegen.

Die rot-grüne Regierung unter dem Sozialdemokraten Stefan Löfven hatte unter anderem versprochen, die ärztliche Behandlung nach erfolgter Diagnose innerhalb von vier Wochen zu gewährleisten. Heute warten Prostatakrebspatienten immer noch durchschnittlich ein halbes Jahr auf eine Operation. Viele Wähler*innen sind unzufrieden und den Sozialdemokraten wird nun mit knapp 24 Prozent in den Umfragen ihr bisher schlechtestes Ergebnis vorausgesagt. Diese zwar nicht neue, sich aber derzeit zuspitzende Krise der Sozialdemokratie spiegelt sich in den guten Umfragewerten für die Rechten, die sich nicht nur als ausländerfeindlich, sondern inzwischen auch als Hüter der Reste des schwedischen Sozialstaates präsentieren. Ihr derzeitiger Erfolg liegt in der Verbindung von sozialen Themen und »Einwanderungskritik«.

Das Thema beschäftigt bereits länger die öffentliche Debatte, nimmt nun aber mehr Raum ein als je zuvor. Das hat nicht nur, aber auch damit zu tun, dass Schweden 2015 proportional so viele Geflüchtete aufgenommen hat wie kein anderes europäisches Land und es auch hier Menschen gibt, die diese Einwanderung ablehnen: Von diesen - größtenteils Männer und jene, die außerhalb großer Städte wohnen - erhalten die Schwedendemokraten ihre Stimmen.

Auch in Malmö brannten in der Nacht des 13. August Autos. Die drittgrößte Stadt Schwedens hat bereits länger ein Gewaltproblem, besonders der Stadtteil Rosengård ist für viele im Land Symbol einer gescheiterten Integrationspolitik. Hier, in den Reihen grauer Hochhäuser, leben überwiegend Migrant*innen, die Arbeitslosigkeit ist hoch, ebenso die Zahl der Straftaten. Der Bezirk ist schon lange nicht mehr nur dafür bekannt, Heimat des Fußballspielers Zlatan Ibrahimović zu sein. Seit Jahren dominieren Gangrivalitäten und öffentliche Schießereien den Alltag, so viele tödliche Schießereien wie in Malmö hat es in keiner anderen Gegend in Schweden gegeben.

Man sieht Rosengård auf den ersten Blick den sozialen Brennpunkt nicht an. Zwischen den Hochhäusern ist es grün, es gibt viele Spiel- und Sportplätze, einer davon heißt »Zlatancourt«. Der Bezirk ist allerdings abgelegen, durch Bahngleise vom Zentrum der Stadt getrennt, und es gibt nur wenige Unterführungen, die Rosengård mit der Södra Innerstaden, der südlichen Innenstadt, verbinden. Kurz vor dem 9. September hängen erstaunlich wenig Wahlplakate in Rosengård - der Stadtteil ist wie abgetrennt, geografisch, gesellschaftlich und politisch segregiert. »Wenn du Menschen gesellschaftlich ausschließt und verarmen lässt, werden diese natürlich nicht glücklich darüber sein. Sie haben keine Möglichkeiten und sind gesellschaftlich isoliert. Sie sollen sich anpassen, kriegen aber nicht die Chance dazu«, sagt der Göteborger Lyyra. Auch wegen dieser Probleme, die in den Ghettos herrschen, wäre es für viele Menschen in Frölunda oder Rosengård eine Katastrophe, wenn die SD so gut abschneiden, wie vorausgesagt wird: Sie werden am ehesten die Opfer einer aufgeheizten öffentlichen Debatte sein, die die Rechten maßgeblich mitbestimmen.