nd-aktuell.de / 08.09.2018 / Kultur / Seite 2

Der Verräter

Personalie

Karlen Vesper

Verschwörungstheoretiker könnten meinen, das hätten sich die Redakteure der »New York Times« aus den Fingern gesogen. Ein Fake, um die Auflage zu steigern. Oder den »besorgten« transatlantischen Brüdern zu signalisieren: Wir halten den Irren im Weißen Haus im Zaum. Der US-Präsident jedenfalls ist not amused. Bezichtigte ihn die Presse im Juli nach seinem Treffen in Helsinki mit Putin des Verrats, schimpft er nun den anonymen Verfasser eines mit dem Bekenntnis »Ich bin Teil des Widerstands innerhalb der Trump-Regierung« überschriebenen Gastbeitrages einen feigen Verräter. Ein Déjà-vu. Hat der Allmächtige in Washington doch schon im Sommer vergangenen Jahres über seinen inzwischen geschassten Kommunikationschef Scaramucci »Verrätern« in seiner Entourage gedroht: »Früher hätte man sie aufgeknüpft.« Und im Mai dieses Jahres wetterte er bereits selbst twitternd gegen Mitarbeiter, die den Medien Interna zuspielten: »Anonyme Informanten sind Verräter und Feiglinge, und wir werden herausfinden, wer sie sind.«

Wer ist der Verräter? Er ist so alt, wie der Mensch auf Erden wandelt. Ein Zwitter, männlich wie weiblich, blond und blauäugig, elfenbeinschwarz mit gutmütigem Lächeln, kühn und heimtückisch, klug wie dumm. Er steckte 30 Silberlinge für einen Verrat ein, den sein Opfer voraussah: »Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch, einer von euch wird mich verraten.«

»Proditionem amo, sed proditores non laudo, ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter«, bekundete einst der große Caesar und sank an den Iden des März blutüberströmt auf die Knie, mit letztem Atem verwundert hauchend: »Auch du, mein Sohn Brutus?« Das wohl klassischste Beispiel eines umtriebigen Verräters bietet Charles-Maurice de Talleyrand. Zunächst diente er dem Ancien Régime, dann der Revolution, schließlich Napoleon und letztlich jenen, die den Imperator bei Waterloo endgültig bezwangen, der unheiligen »Heiligen Allianz«. Durch die Jahrhunderte galt und gilt vielfach die Erkenntnis des römischen Geschichtsschreibers Tacitus: »Verräter sind selbst denen, deren Sache sie dienen, verhasst.«