nd-aktuell.de / 11.09.2018 / Kommentare / Seite 4

»Die Dressur hat das Verhältnis ...

Kathrin Gerlof über geteilte Freude und geteiltes Leid in der Arbeitswelt - bei vollem Lohnausgleich

Kathrin Gerlof

... der Menschen zu sich selbst und zu anderen so deformiert, dass Selbstbewusstsein und soziale Anerkennung einzig davon abhängig sind, ob jemand seine Arbeitskraft verkauft oder nicht.«

1983 (sic!) erschien eine wunderschöne Ausgabe der Zeitschrift »TRANSIT« mit dem Titel »... ein bißchen Radau ... Arbeitslose machen Geschichte«. Darin enthalten die These, dass der Ausbau des Sozialstaates vorher schwer kontrollierbare Bevölkerungsgruppen dezimiert, sie aus der Normalität drängt, in die ein unordentliches Leben, Unlust zur Arbeit, spontane Aktion nicht mehr hineinpassen. Die ursprünglich an reiche Müßiggänger gerichtete Aufforderung »Geh doch arbeiten!« wurde zum Schlachtruf der Normalen gegenüber Menschen, die anderes mit ihrem Leben vorhatten, als brav zu produzieren und zu reproduzieren.

So betrachtet wundert es nicht, dass ein Begriff wie Teilzeit in unseren Ohren gar nicht schön klingt. Das hat ökonomische Gründe, um die es sich zu kümmern gilt. Insofern ist zu goutieren, wenn die Linke immer wieder mal nachfragt, wie sich in unserer schönen Bundesrepublik, die vielleicht das einzige europäische Land ist, das sogar über einen freidrehenden Verfassungsschutzpräsidenten verfügt, die Zahl der in Teilzeit arbeitenden Menschen entwickelt. Ökonomische Gründe, weil: Wer in Teilzeit arbeitet hat meist einfach nicht genug zum Leben.

Trotzdem wäre mal, so rein semantisch, die Frage zu stellen, warum von den Linken (von Gewerkschaften wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden, die übersetzen Vollarbeitszeit immer noch mit vollwertig) Teilzeitarbeitsverhältnisse erstens als atypisch bezeichnet und zweitens in eine Reihe mit allen anderen prekären Arbeitsverhältnissen gesetzt werden. Warum also das Ziel nicht darin besteht, zu sagen: Wer Teilzeit arbeitet, soll - schon allein, weil in dem Wort das schöne Wort teilen steckt und teilen an sich was Tolles ist - seine Arbeitskraft in Vollzeit verkaufen zu dürfen nicht unbedingt zur obersten Maxime machen, stattdessen einfach nur ausreichend Geld zum Leben bekommen.

Es lebe die Teilzeit, sie steht ganz oben auf der Agenda. Teilzeit für alle, die es wollen! Denn es ist erleichternd, einen Scheißjob mit jemand anderen zu teilen, einfach weil geteiltes Leid und so weiter. Und es ist ebenso großartig, an einer tollen, erfüllenden, fordernden und fördernden Arbeit noch einen zweiten Menschen teil!haben zu lassen. Ja, das wäre so eine politische Agenda, die stünde den Linken irgendwie gut zu Gesicht. Dafür muss man nicht mal aufstehen, nur nachdenken, was man ja auch im Liegen kann.

»Wie sinnlos muss es objektiv sein, wenn ein Lebensziel ausgerechnet dann nicht mehr erkennbar scheint, wo fremdbestimmte Arbeit einem nicht mehr aufgezwungen ist?« Schon 1983 wurden die richtigen Fragen gestellt, wir haben sie bis heute nicht beantwortet.

Solange die Dinge sind, wie sie sind, scheint es natürlich notwendig, der Teilzeit an sich ein Ende bereiten zu wollen. Sie verhindert Karriere, macht arm und ermöglicht den Unternehmen noch mehr Profit, denn wer nur zwanzig Stunden arbeitet, hat meist die Arbeit von 38,5 Stunden in dieser Zeit zu schaffen. Wir kennen das alles. Das hier ist also gar kein Bashing gegen die, die dagegen wettern.

Nur die Sache mit dem Weiterdenken, die stört ein wenig.

»Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte des Arbeitszwangs ... Sinnvolle Arbeit! Zirkel können nicht quadratisch sein, das Kamel kann nicht durch das Nadelöhr, die Arbeit des Kapitals hat nur einen einzigen Sinn: Ausbeutung!« Verdammt, 1983 muss ein gutes Jahr gewesen sein. Und wer heute noch mal mit dem Denken anfangen wollte, könnte sagen: Teilzeit ist voll okay. Wer in Teilzeit arbeitet, muss - da er oder sie ja etwas teilt, das offensichtlich von vielen begehrt wird - mit vollem Lohnausgleich für dieses solidarische Verhalten belohnt werden.

Kolumnen sind immer auch Märchenstunden. Wussten Sie das schon?