nd-aktuell.de / 13.09.2018 / Politik / Seite 7

Verhaftung ohne triftigen Grund

Joan Adalar vom re:volt magazine über die Verhaftung des Österreichers Max Zirngast in der Türkei

Svenja Huck

Der österreichische Aktivist Max Zirngast ist in der Türkei festgenommen worden. Was sind die konkreten Vorwürfe gegen ihn?

Da die Akten offiziell noch unter Geheimhaltung sind, können wir nicht konkret sagen, was ihm vorgeworfen wird. Die Polizei hat auch seinem Anwalt nichts konkretes mitgeteilt, doch dieser geht davon aus, dass Zirngast spätestens zum Ende der Woche einem Haftrichter vorgeführt wird. Ihm werden wohl »politische Publikationen« zum Vorwurf gemacht, womit wahrscheinlich sein kritischer Journalismus gemeint ist. Auf dem Durchsuchungsbefehl der Polizei wird ihm außerdem seine Tätigkeit in einem sozialen Zentrum in Ankara vorgeworfen, das alternative und kritische Sommerschulen für Kinder ärmerer Haushalte organisiert.

Und das allein rechtfertigt einen Durchsuchungsbefehl?

Sie werfen der Sommerschule vor, für eine illegale, bewaffnete Organisation im nordsyrischen Rojava zu arbeiten. Es liegt also ein Terrorismus-Vorwurf im Raum. Wir wissen aber noch nicht, ob dies die Hauptanklage sein wird oder ob es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommen wird.

Seit wann lebt Zirngast in der Türkei? Was macht er dort?

Er lebt seit 2015 in der Türkei und studiert Politikwissenschaften an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara. In Wien hatte er sich bereits intensiv mit der Türkei und Kurdistan beschäftigt. Er spricht fließend Türkisch und kennt sich mit der Geschichte der Türkei sehr gut aus. In die Türkei zu ziehen, war eine Folge seines Interesses und seines Aktivismus.

Was macht Zirngast in der Türkei politisch?

Einige von uns kennen ihn seit Jahren. Er ist ein leidenschaftlicher linker Aktivist und ein großartiger Genosse. 2015 hat er an den Wahlkampagnen für die HDP mitgearbeitet, ohne selbst Mitglied zu sein. In Ankara war er vor allem aktiv in einem alternativen Kulturzentrum namens »Serüven Kültür« und in einem alternativen sozialen Zentrum im Tuzluçayır-Viertel. Dieses Zentrum organisierte die Sommerschulen unter dem Motto »Her Yer Çocuk Yaz Etkinlikleri« – »Die Kinder sind Überall – Sommeraktivitäten«. Alles basierte auf freiwilliger Arbeit zumeist studentischer Jugendlicher. Außerdem organisierte er türkeiweit Bildungsseminare zum Marxismus.

Die Türkei scheint gerade sehr um Tauwetter-Stimmung mit der EU bemüht zu sein. Warum verhaften sie gerade jetzt einen österreichischen Staatsbürger?

Vermutlich haben sie nicht mit einer solchen massenhaften Reaktion und einem solchen medialen Interesse gerechnet. Falls dieser Vorfall weiterhin skandalisiert wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Zirngast frühzeitig freigelassen wird. Zu viele schlechte Schlagzeilen sollen sicher vermieden werden.

Für den »Welt«-Journalisten Deniz Yücel gab es eine große Solidaritätskampagne weit ins bürgerliche Lager hinein. Welche Reaktionen erhofft Ihr euch auf die Verhaftung von Zirngast?

Er ist ein passionierter linker Aktivist und Akademiker, der als Teil seiner politischen Überzeugung für linke, teils dezidiert revolutionäre Magazine schreibt. Das schmälert natürlich die Chancen für eine breite Solidaritätsbewegung bis in die liberal-bürgerlichen Reihen hinein, insbesondere bei dem aktuellen politischen Klima in Österreich oder Deutschland. Wir hoffen dennoch, dass sich eine tatkräftige Solidaritätskampagne entwickelt - die bisherigen Reaktionen aus Medien und politischen Organisationen im deutschsprachigen Raum machen da Hoffnung.

Die Entwicklungen in Österreich und Deutschland zeigen jedoch, dass reaktionäre und faschistoide Bewegungen nicht vor Liberalen halt machen und es auf viele unserer journalistischen Kolleg*innen absehen. Wir müssen jetzt die konkreten Vorwürfe abwarten und hoffen, dass Zirngast rasch aus der Untersuchungshaft frei kommt und so eine öffentliche Solikampagne nicht mehr nötig sein wird.

Was fordert Ihr als seine Redaktion von der türkischen Regierung?

Wir fordern nichts von ihr oder der türkischen Justiz, weil wir wissen, dass sie am liebsten jede Opposition mundtot machen würden. Wir fordern auch nichts von europäischen Regierungen, weil wir sehr gut wissen, dass sie, wenn es zu ihren geostrategischen und außenpolitischen Zielen passt, reaktionäre und faschistoide Regime wie die von Erdoğan durchaus unterstützen. Wir glauben allerdings, dass genug öffentlicher Druck in der Lage ist, die Freiheit von Zirngast zu erreichen. Deshalb rufen wir alle demokratisch, fortschrittlich und sozialistisch gesinnten Menschen dazu auf, das Vorgehen der türkischen Regierung zu skandalisieren und sich für seine Freiheit einzusetzen.