nd-aktuell.de / 12.09.2018 / Der Heppenheimer Hiob

Die Pfleger von heute sind die Pflegebedürftigen von morgen

Roberto J. De Lapuente über fehlende technologische Investitionen in Pflegeberufen

Roberto J. De Lapuente

In Krankenhäusern und Pflegeheimen gibt es ziemlich viel zu tun; der Pflegebedarf ist immens. Eigentlich wird jede helfende Hand gebraucht. Aus dieser Einsicht resultieren Vorschläge wie jener, Langzeitarbeitslose oder Flüchtlinge in einer generalstabsmäßig geplanten Aktion als Pflegehelfer zu verpflichten. Umbetten, Saubermachen, Löffeln und auf Klingelzeichen in Zimmer eilen – das kann ja jeder machen. Qualifikation steht bei solchen Planungen hintan, ebenso die Basics des Berufs: Werte wie Empathie oder Nächstenliebe, werden dabei nicht beachtet.

In der deutschen »Pflegepolitik« gilt jeher nur eines: Viel hilft viel. Die Manpower soll es richten. Dahinter steckt ein altmodisches Konzept. Man stellt sich die Pflegerepublik Deutschland nämlich als einen Ort vor, in der der Dienst am kranken oder alten Menschen mit einer Armee von Pflegerinnen und Pfleger vollbracht wird. Technologische Erleichterungen für den Berufsstand, Entlastungen durch Apparate und Roboter stehen hingegen nicht auf der Agenda.

Druckgeschwüre werden weiterhin vornehmlich händisch entlastet; umgebettet wird unter vollem Körpereinsatz. In den meisten Kliniken sind Patientenkräne oder -lifter seltene Einrichtungsgegenstände. Pflegeroboter und moderne Überwachungssensoren kommen im deutsche Pflegealltag so gut wie gar nicht zum Einsatz. Der Frage des Gebrauchs solcher Mittel begegnet man mit moralischen Allüren, man zitiert die Menschenwürde der Patienten, die man hier gefährde – und vergisst darüber hinweg, dass auch jene, die täglich unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrtheit, für das Wohl der Patienten da sind, auch genau diese Würde innehaben.

Dabei wäre die Abnahme schwieriger körperlicher Arbeit oder zeitraubender Überprüfungen gar kein Fall mangelnder Patientenwürde, sondern würde ganz im Gegenteil wertvolle Zeitfenster schaffen, in denen es zur Ansprache oder Eingehen auf die Bedürfnisse des Gepflegten kommen kann. Ebenso gäbe es durchaus moderne Varianten der Dokumentationspflicht, die in heutiger Form noch einen Großteil der Zeit frisst. In altmodischen Kladden wird momentan händisch notiert und notiert und notiert. Digitalisierung, Sprachkennung und Ad-hoc-Speicherung auf eine hausinterne Cloud würden die Dokumentation vereinfachen.

An der Pflege gehen aktuell alle technologischen Entwicklungen vorbei und so werden Pflegeberufe weiterhin altmodisch ausgeführt. Alle Pflegekonzepte, die in den letzten Jahren aus deutschen Gesundheitsministerien kamen, lauten: Akquise zur Mobilisierung neuer menschlicher Arbeitskraft. Weitere Anreize schafft man keine, dringend notwendige Investitionen und technologische Neuerungen werden nicht in Angriff genommen. Man wählt dabei den billigen Weg, verheizt menschliche Arbeits- und Schaffenskraft. Lässt buckeln, wo man zeitgemäß arbeiten lassen könnte.

Ganz nebenbei werden durch diese harte Arbeit am Nächsten neue Pflegebedürftige für die Zukunft geschaffen. Wenn bis zu deren Pflegebedürftigkeit Pflege weiterhin so günstig entlohnt wird, brauchen wir immer weiter und immer mehr helfende Hände. Aber woher nehmen – wir haben ja jetzt schon kaum genug interessierte und gut ausgebildete Pflegekräfte.