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Hilflose Geisterbeschwörung

Warum die Konservativen nicht verstehen wollen, dass ihr Feind heute rechts steht

  • Tom Wohlfahrt
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Konservatismus scheint wieder im Kommen zu sein. Seit Jahresbeginn schon hauen einige jüngere Wilde in der Union mächtig auf die Pauke einer im Wortsinn paradoxen »bürgerlich-konservativen Revolution«. In diesem Manöver wollen sie mit einer reaktionären Rechten konkurrieren, die indes nur immer weiter ihre Reihen schließt.

Da hat es auch nicht viel geholfen, dass sich zwischenzeitlich besonnenere Zeitgenossen zu Wort gemeldet haben. Etwa Winfried Kretschmann, der sich in der FAZ bemüht hatte, das zerbrochene Porzellan als produktive Zerstörung aufzukehren und zu einem neuen, gemäßigten Wertkonservatismus zusammenzusetzen. Bisher hat sich dieser Ansatz leider nicht wirklich als erfolgreich erwiesen. Den Ton der Debatte geben weiterhin die Polterer an. Und ungeklärt scheint im deutschen Zusammenhang auch die Frage zu sein, ob der wahre Gegner des Konservatismus nun eigentlich auf der linken oder der rechten Seite des politischen Spektrums zu finden sei.

Eine bündige Antwort darauf schlägt der US-amerikanische Politologe Corey Robin in seinem Buch »The Reactionary Mind« vor. Seine Überlegungen zum Konservatismus seit Edmund Burke passen hervorragend in die politische Landschaft nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA und wurden im vergangenen Herbst in diesbezüglich aktualisierter Fassung neu aufgelegt.

»Konservativ« und »reaktionär« sind für Robin zunächst Synonyme. Denn er verortet den Ursprung des Konservatismus historisch in der Reaktion auf die progressiven Ideen der US-amerikanischen und vor allem der Französischen Revolution. Die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Solidarität hätten die alte Herrschaftsordnung zum Einsturz gebracht - und der gegenaufklärerische Versuch, sie wieder aufzubauen, betonte gegenüber dem Egalitarismus der Revolutionäre stattdessen die über Jahrhunderte vermeintlich natürlich gewachsene Vielschichtigkeit einer sozialen Ordnung unversöhnlicher Widersprüche zwischen Herrschenden und Beherrschten. Das Angebot der Gegenaufklärung war eine Art konservative Koalition zwischen Elite und Masse, in der die erste die zweite zur Kompensation für den Status Quo der Herrschaftsverhältnisse mit rassistischen oder imperialistischen Privilegien ausstattete.

So konnten sich über die Jahrhunderte recht unterschiedliche Strömungen unter dem Dach des Konservatismus vereinen. Und darum ist auch die charakteristische, selbstbewusste (Selbst-)Widersprüchlichkeit Trumps, die Robin dokumentiert, kein Widerspruch zu seinem Konservatismus. Und wenn sich auch die Radikalität seines Rassismus und Populismus von seinen direkten konservativen Amtsvorgängern abheben mag, so steht sie doch in einer Linie des US-amerikanischen Konservatismus von den 1920er Jahren über die Zeiten Richard Nixons und Ronald Reagans bis hin zur sogenannten Tea-Party-Bewegung von heute.

Dennoch ist der Aufstieg Trumps für Robin - widersprüchlicherweise - ein Symptom nicht der Stärke, sondern der Schwäche des Konservatismus. Die bewährte Verbindung aus Elitismus und Populismus ist brüchig geworden. In dieser Krise suchen viele Konservative ihr Heil in der Radikalisierung. Gerade angesichts des drohenden Untergangs der konservativen Idee und Bewegung werden die rassistischen Rufe lauter, die populistischen Schreie schriller.

Die US-amerikanische Rechte ist allerdings nicht deshalb schwach, weil die Linke so stark ist. Im Gegenteil: Linke Bewegungen wie »Occupy«, »Black Lives Matter« und Bernie Sanders‘ Kampagne für einen demokratischen Sozialismus sind kleine Fische gegen die nachhaltigen Erfolge, die Amerikas konservative Präsidenten seit Nixon im Sinne ihrer Agenden erzielen konnten.

Der Sieg der Konservativen ist aber letztlich nur das Vorspiel zu ihrer eigenen Überflüssigkeit. Denn als echte Konterrevolutionäre brauchen sie sie einen starken Gegner. Ohne diesen aber schwindet auch ihr eigener Zusammenhalt. Und je offensichtlicher dieser Gegner fehlt, desto greller muss sein Schreckgespenst gezeichnet werden - etwa in Gestalt von »Obamacare«, der tatsächlich ja eher eher zaghaften Krankenversicherungsreform von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama.

Hier scheint aber eine weitere Widersprüchlichkeit auf. Denn einerseits haben die konservativen US-Präsidenten der vergangenen Jahrzehnte viele Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung rückgängig gemacht. Segregation und Wohlstandsgefälle zwischen Weißen und Nichtweißen sind heute ausgeprägter als selbst unter Nixon oder Reagan. Doch andererseits gilt das ebenso für die Wohlstandsunterschiede zwischen reichen und armen Weißen - und die kulturelle Macht und Sichtbarkeit von Nichtweißen hat, trotz ihrer auch unter Obama fortgesetzten ökonomischen Marginalisierung, deutlich zugenommen. Ähnliches gilt für die LGBTQ*-Community, für den Feminismus oder auch für Klimaschutzbewegte.

Das eigentliche Problem ist die Verknüpfung des ursprünglich vom konservativen Reagan stark gemachten wirtschaftlichen Neoliberalismus mit progressiven Ideen wie den Frauen- und Minderheitenrechten seit der Regierung Bill Clintons. Dieser »progressive Neoliberalismus«, wie ihn die Politologin Nancy Fraser nennt, hat letztlich beide Lager besiegt - sozusagen die Politik insgesamt - indem er das Primat der Wirtschaft über die Politik, des Marktes über die Demokratie zementierte. Dies ist deshalb so nachhaltig gelungen, weil sich beide Seiten, vor allem aber die Linke, einbilden konnten, sie hätten in diesem oder jenem Bereich obsiegt. Tatsächlich aber hatten beide Lager gegen einen anderen Feind verloren. So ist aus einem politischen Vakuum ein neuer Feind entstanden: ein demokratiefeindlicher, autoritärer, nationalistischer Populismus, der wieder einfache Lösungen für komplexe Problemlagen verspricht.

Im Zweiparteiensystem der USA scheint das auf den ersten Blick keine direkte Existenzgefährdung für die etablierten Parteien zu sein, zumal für die Republikaner, die die populistische Bombe Trump, dieses »schwarze Loch des sich auflösenden Konservatismus« (Robin), einfach geschluckt hat und nun mehr oder weniger erfolgreich versucht, sie zu verdauen.

In Europa aber kommen und gehen Parteien des Öfteren. Genau dieser Gefahr wollen Konservative wie Alexander Dobrindt (CDU) oder Jens Spahn (CSU) ja mit ihrer negativen Beschwörung des Geistes von 1968 sowie des Klischees vom globalisierten Großstadthipster als neu-altem Feindmythos begegnen. Sie wollen das gespaltene rechte Lager unter der Flagge eines bürgerlich-bayerischen, will sagen »heimatlichen«, Nationalkonservatismus wieder zusammenbinden. Allerdings sind auch hierzulande die Bruchlinien komplexer. Während in den USA und in Großbritannien mit Reagan und Thatcher der neoliberale Geist in den 1980er Jahren im konservativen Körper erschien, war es in der einmal wieder etwas verspäteten Nation den »Alt-68ern« Gerhard Schröder und Joseph Fischer vorbehalten, mit ihrer (klassischen) progressiv-neoliberalen Agenda zumindest den Impetus politökonomischen Geist von 1968 zu Grabe zu tragen, Machtfragen zu stellen (politökonomische Fußnote für Dobrindt: Rot-Grün war die einzige nicht ganz so bürgerliche Bundesregierung der vergangenen 35 Jahre). Was also konservative Kritiker bei ihren Vorstößen gegen links oft geflissentlich verschweigen, ist die Tatsache, dass die Konservativen heute ihren wahren Feind nicht auf der linken, sondern auf der rechten Seite haben.

Und dennoch haben sie ja nicht völlig unrecht: Ein Großteil dessen, was ehemals konservativ war, hat sich, nicht zuletzt unter der Kanzlerinnenschaft Angela Merkels, weit in Richtung Mitte bewegt. Dort trifft es aber eben keineswegs auf ein lebendiges, sondern auf ein allenfalls untotes Erbe von ’68, das die linke Kernfrage der politisch-ökonomischen Machtverhältnisse aufgegeben hat zugunsten von Identitätspolitik und kulturellem Kapitalismus. In diesem wächst auch aus Sicht des Kapitals nun nur noch immer weiter zusammen, was zusammengehören soll: Wirtschaft und Politik, Markt und Demokratie, und endlich sogar links und rechts. Ein Burgfrieden, der in kulturell-kapitalistischem Konsens der Mitte die Herrschaftsverhältnisse unangetastet lässt.

Die Krise des Konservatismus ist also zugleich eine Krise der Politik, und damit auch der progressiv-emanzipatorischen. Doch die etablierten konservativen Parteien erleben das inzwischen womöglich als existenzgefährdender als die progressiven, weil sie eher in Gefahr sind, vom neuen konservativen Radikalismus lahmgelegt zu werden, während die Linke nun eigentlich ein klareres Feindbild haben könnte, so sollte man zumindest denken.

In Corey Robins Sinne möchte man also dem Konservatismus - und nicht nur ihm - vielleicht doch eine repolitisierte, wieder erstarkte Linke wünschen, damit er sich nicht weiter aus Angst vor der Rechten in Geisterbeschwörungen immer weiter radikalisieren muss.

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