Der Welthandel mag keine Zölle

Ökonomen senken wegen Protektionismus deutlich ihre Konjunkturprognose

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Schranken und Restriktionen mag die Marktwirtschaft bekanntlich nicht. Wirklich gut geht es ihr eigentlich nur, wenn die Waren ungehindert über Landesgrenzen hinweg zirkulieren können. Dies wusste auch schon Karl Marx. Der Weltmarkt bilde »überhaupt die Basis und die Lebensatmosphäre der kapitalistischen Produktionsweise«, schrieb er im unvollendeten dritten Band seines Hauptwerks »Das Kapital«.

Kein Wunder also, dass sich mit der Einführung von Strafzöllen, die den freien Warenaustausch über Grenzen hinweg teurer machen, auch die Konjunkturaussichten eintrüben. Gerade die hiesige Wirtschaft mit ihren exzessiven Exportüberschüssen ist anfällig für Krisen im globalen Warenverkehr. So senkten fünf führende Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose, die sie am Donnerstag in Berlin vorstellten, ihre Konjunkturprognose. Ihnen zufolge dürfte die hiesige Wirtschaftsleistung dieses Jahr nur noch um 1,7 Prozent wachsen. Im Frühjahr waren die Forscher noch von 2,2 Prozent ausgegangen. Für 2019 rechnen sie nun mit 1,9, für 2020 mit 1,8 Prozent.

»Insbesondere das Vordringen des Protektionismus stellt eine Gefahr dar«, schreiben die Ökonomen in ihrem Herbstgutachten. So drohe eine weitere Zuspitzung des Handelskonflikts zwischen den USA und China. Zwar sei im Verhältnis zwischen EU und USA mittlerweile eine Entspannung eingetreten. »Aufgrund der inzwischen hohen Verflechtung der Wertschöpfungsketten würden aber stärkere Handelsbarrieren zwischen den USA und China die Produktionskosten überall auf der Welt wohl steigen lassen und auch deutsche Unternehmen treffen«, wird gewarnt. Zudem habe sich im bisherigen Jahresverlauf gezeigt, dass es die protektionistische Außenwirtschaftspolitik der USA nicht bei Drohungen belasse.

Auch die Welthandelsorganisation (WTO) warnte am Donnerstag vor einer Eskalation der Handelskonflikte. »Insgesamt sind die Risiken erheblich«, schrieb die WTO und senkte die Prognose für das Wachstum des Welthandels erheblich. War sie im April für dieses Jahr noch von einem Plus von 4,4 Prozent beim globalen Handelsvolumen ausgegangen, so rechnet sie jetzt nur noch mit 3,9 Prozent. Für nächstes Jahr senkte die Organisation in Genf ihre Erwartungen von 4,0 auf 3,7 Prozent. Die Autoren der Gemeinschaftsdiagnose rechnen sogar mit einem noch geringeren Anstieg des Welthandels. Dieses Jahr dürfte er sich »deutlich auf 3,4 Prozent verringern, in den kommenden beiden Jahren dürfte er allenfalls drei Prozent erreichen«, so die Forscher.

Neben dem Protektionismus sehen sie zwei weitere Gründe für die Verlangsamung des hiesigen Wirtschaftswachstums. Es sind die gegenwärtigen Probleme der Automobilindustrie und zunehmende Engpässe für die Unternehmen »vor allem bei Arbeitskräften und beim Bezug von Vorleistungsgütern«.

Nachdem die Autobauer jahrelang Abgaswerte manipuliert haben, tun sie sich nun offenbar mit den neuen Prüfverfahren schwer. »Wegen Engpässen bei der Zertifizierung nach dem neuen Prüfverfahren WLTP, die für alle seit dem 1. September neu zugelassenen Fahrzeuge erforderlich ist, wurden Lager beträchtlich aufgebaut und zeitweise Produktion und Lieferungen gestoppt«, heißt es in dem Gutachten. Angesichts des großen Gewichts der Automobilindustrie werde sich dies gesamtwirtschaftlich bemerkbar machen.

Gleichzeitig fällt es den Unternehmen offenbar immer schwerer, geeignetes Personal zu finden. Die »gestiegenen Vakanzzeiten offener Stellen und ein höherer Lohndruck« deuteten darauf hin, »dass das Arbeitsangebot immer weniger in der Lage ist, die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften zu befriedigen«, schreiben die Ökonomen und rechnen damit, dass die Arbeitslosigkeit dieses Jahr um 190 000 auf 2,34 Millionen Personen sinkt. Dies entspräche einer Rate von 5,2 Prozent. Für 2019 gehen die Forscher von einem Rückgang auf 4,8 und für 2020 auf 4,5 Prozent aus.

Diese Arbeitskräfteknappheit hat für die Beschäftigten einen positiven Effekt: Sie können höhere Löhne fordern. Die Wirtschaftsexperten schätzen, dass die tariflichen Monatsverdienste dieses Jahr im Schnitt um 2,6 Prozent und in den beiden kommenden um jeweils 2,7 Prozent zulegen. Unterm Strich könnten die Löhne laut den Experten noch schneller steigen, »da übertarifliche Lohnbestandteile zur Gewinnung neuer Arbeitnehmer und Bindung vorhandener Arbeitskräfte an Bedeutung gewinnen«.

Zwar bedeutet dies für den einzelnen Unternehmer - marxistisch gesprochen - erst mal weniger Mehrwert und Profit. Doch sind steigende Löhne letztlich gut für die Wirtschaft, weil sie die Kaufkraft und die Binnennachfrage stärken. So »dürfte der Konsum der privaten Haushalte weiterhin kräftig zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen«, heißt es in der Prognose.

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