nd-aktuell.de / 01.10.2018 / Politik / Seite 1

Erdogan hofft auf Unterstützung aus der EU

Beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten stand die ökonomische Kooperation im Vordergrund

Jan Keetmann

Aufnahmen von Recep Tayyip Erdogans Besuch in Berlin und Köln zeigen den türkischen Präsidenten meist mit strenger Miene. Die Zeitung »Birgün«, eines der wenigen verbliebenen Oppositionsblätter, titelte: »Was Erdogan wollte, gab es in der ersten Runde nicht«.

Die Bundesregierung gab in der Tat kein konkretes Versprechen, ökonomische Unterstützung für das krisengeschüttelte Land zu leisten. Freilich war nicht zu erwarten, dass die Bundesregierung für die Türkei einen Rettungsschirm aufspannt wie seinerzeit für Griechenland. Allerdings hat man am Bosporus nicht überhört, dass Merkel mehrmals betonte, die wirtschaftliche Stabilität der Türkei sei wichtig für Deutschland.

Es ist jedoch anzunehmen, dass die konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf europäischer Ebene umgesetzt werden. Da wäre die von der Türkei angestrebte Erweiterung der Zollunion. Ein heikles Thema, weil es die Vergabe öffentlicher Aufträge einschließt und faire Ausschreibungen sowie einen funktionierenden Rechtsstaat voraussetzt, wovon die Türkei derzeit weit entfernt ist. Weiterhin könnte die Europäische Bank für Aufbau und Entwicklung Geld in die Hand nehmen, um die Lage im syrischen Rebellengebiet Idlib zu stabilisieren. Ein Aufbauprogramm in Syrien käme vor allem der Not leidenden türkischen Bauwirtschaft zugute.

Für regierungsnahe türkische Medien spielten ökonomische Fragen keine Rolle. Wie Erdogan nicht müde wird zu betonen, habe die Türkei keine ernsten ökonomischen Probleme. Im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen ein Schulterschluss gegen die USA und die Lage in Syrien, wo sich eine Annäherung abzuzeichnen scheint. So soll der Anfang September ausgefallene Vierergipfel zwischen Türkei, Deutschland, Frankreich und Russland zu Syrien nachgeholt werden. Auf ein Bündnis gegen die USA setzt vor allem das Massenblatt »Sabah«. Die Zeitung gehört zum Medienkonzern von Serhat Albayrak, dem älteren Bruder von Erdogans Schwiegersohn und Finanzminister Berat Albayrak. Ein Bündnis zwischen Türkei, Deutschland, Frankreich und Russland könnte laut »Sabah« ein Gegengewicht zu den USA bilden. Die deutschen Medien, deren Kontrolle durch die USA offensichtlich sei, hätten die sich anbahnende Annäherung zwischen Deutschland und der Türkei nur noch nicht verstanden.

Allerdings hat der Konflikt zwischen den Europäern und den USA andere Ursachen als jener zwischen der Türkei und Trump. Die Europäer wollen sich ihre Iranpolitik nicht von Washington diktieren lassen. Erdogan geht es dagegen um die Zerschlagung der kurdischen Selbstverwaltung in Syrien, die derzeit von den USA geschützt wird. Darüber hinaus ähneln sich die Konflikte der USA und Deutschlands mit Erdogan. Beide kritisieren, dass sowohl deutsche als auch amerikanische Staatsbürger in der Türkei aufgrund von schwer nachvollziehbaren Anschuldigungen in Haft sind.

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