nd-aktuell.de / 11.10.2018 / Politik / Seite 1

450 000 Hartz-IV-Sanktionen verhängt

Opposition und Sozialverbände fordern ersatzlose Abschaffung der umstrittenen Strafen

Marie Frank

Die Zahl der neu verhängten Hartz-IV-Sanktionen ist in den ersten sechs Monaten dieses Jahres leicht zurückgegangen - von 475 000 auf knapp 450 000. Das teilte die Bundesagentur für Arbeit am Mittwoch in Nürnberg mit. Da die Zahl der Hartz-IV-Empfänger jedoch ebenfalls gesunken ist, liegt die Sanktionsquote - also das Verhältnis von verhängten Sanktionen zu allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - unverändert bei 3,1 Prozent. Zuletzt waren rund 4,08 Millionen Hartz-IV-Empfänger registriert.

Die überwiegende Mehrheit der Sanktionen (77,4 Prozent) wurde, wie schon in den vergangenen Jahren, aufgrund von Meldeversäumnissen verhängt - weil beispielsweise jemand einen Termin beim Jobcenter ohne wichtige Gründe nicht wahrnimmt. Nur in knapp zehn Prozent der Fälle wurden die Leistungen gekürzt, weil sich die Betroffenen weigerten, eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Im Schnitt wurden die Leistungen um knapp 19 Prozent gekürzt, also etwa um 110 Euro. Der Regelsatz für einen Hartz-IV-Empfänger beträgt aktuell 416 Euro. Überdurchschnittlich häufig von Sanktionen betroffen sind nach wie vor unter 25-Jährige. Bei ihnen fällt die Kürzung zudem meist deutlich höher aus. Das Gesetz sieht bei Jugendlichen bereits beim ersten Verstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, eine hundertprozentige Streichung der Regelleistung vor.

Die Parteichefin der LINKEN, Katja Kipping, forderte ein Ende des »Hartz-IV-Sanktionsregimes«: »Jede Sanktion ist eine Sanktion zu viel, denn betroffen sind nicht nur die Direktsanktionierten, sondern auch jene, über denen die Androhung einer Sanktion wie ein Damoklesschwert hängt.« Die LINKE fordert stattdessen eine sanktionsfreie, individuelle Mindestsicherung in Höhe von 1050 Euro netto.

Kritik kommt auch von den Grünen, die Hartz IV samt Sanktionen seinerzeit zwar zusammen mit der SPD eingeführt hatten, jüngst aber eine Kehrtwende hinlegten und nun ebenfalls eine Abschaffung der Sanktionen fordern. »Es ist absolut nicht hinnehmbar, dass allein im letzten Halbjahr bei fast einer halben Million Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum massiv unterschritten wird«, sagte der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Sven Lehmann. Der Weg zurück in die Erwerbstätigkeit werde dadurch nicht befördert, sondern erschwert.

Sozialverbände weisen schon länger darauf hin, dass Kürzungen der Grundsicherung menschenrechtlich problematisch sind. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, bezeichnet Sanktionen aufgrund von »Banalitäten wie Terminversäumnissen« als »überzogen und absolut unverhältnismäßig« und fordert eine ersatzlose Streichung. »Menschen, die ohnehin am Existenzminimum leben, werden dadurch noch weiter in die Not und schlimmstenfalls sogar in die Obdachlosigkeit gedrängt.«