nd-aktuell.de / 13.10.2018 / Politik / Seite 5

Empörung über Anschmieren als neuen Schulsport

Die AfD will auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt Portale, auf denen Schüler politisch missliebige Lehrer anschwärzen sollen

Hendrik Lasch, Dresden

Die drei Kernpunkte des »Beutelsbacher Konsenses« gehören nicht unbedingt zum Alltagswissen. Er wurde vor 42 Jahren bei einer Tagung in dem Ort in Baden-Württemberg beschlossen und regelt die Grundsätze politischer Bildung in der Bundesrepublik. Punkt 1: Lehrer dürfen Schüler nicht mit ihrer eigenen Meinung »überwältigen«. Punkt 2: Was in Politik und Wissenschaft für Kontroversen sorgt, soll in Schulen ebenfalls kontrovers diskutiert werden. Punkt 3: Schüler sollen befähigt werden, die »vorgefundene politische Lage« im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen.

Den »Beutelsbacher Konsens« wird dieser Tage verstärkt in Erinnerung gerufen, etwa von Jens Weichelt. Die Übereinkunft garantiere, dass Meinungen von Schülern »nicht bewertet« würden, sagt der Chef des Sächsischen Lehrerverbandes (SLV) - »ganz gleich, in welche Richtung sie gehen«. Falls doch der Eindruck entstehe, das Gebot werde nicht beachtet, brächten Gespräche mit Lehrern »mehr als eine Internetplattform«.

Eine solche plant die AfD-Fraktion in Sachsen, so wie auch in zahlreichen weiteren Bundesländern: Hamburg und Berlin, Brandenburg, Bayern, Sachsen-Anhalt. Schüler, Eltern und auch Lehrer sollen dort Verstöße gegen das Neutralitätsgebot von Pädagogen melden können. Die AfD sehe darin ein »Demokratie-Projekt für Sachsens Schulen«, sagte Landes- und Fraktionschef Jörg Urban und kündigte an, das Portal »Lehrer-SOS« solle am Freitag freigeschaltet werden.

Außerhalb der AfD stößt der Vorstoß quer durch die Parteien und bei Verbänden von Lehrern wie Schülern auf Empörung. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer sagte bei einem Bürgergespräch, wenn dazu aufgefordert werde, Lehrer zu melden, die sich »politisch eckig« äußern, müsse man entgegnen: »Nein, das ist nicht in Ordnung.« Schärfer formulierte es CDU-Kultusminister Christian Piwarz. Er warf der AfD eine »ekelhafte Gesinnungsschnüffelei« vor. Rico Gebhardt, Fraktionschef der LINKEN, nannte das geplante Portal eine »blau-braune Denunziationsmaschine«.

In Sachsen-Anhalt, wo von der AfD ebenfalls eine derartige Plattform angekündigt wurde, schaltete Sebastian Striegel, Abgeordneter der Grünen, den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags ein, um Fragen zur rechtlichen Bewertung der Initiative zu klären. Auch der Datenschutz soll eine Rolle spielen. Im sozialen Netzwerk Twitter brachte der Wissenschaftler und CDU-Politiker Christian Reinboth aus dem Harz die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ins Spiel. Wenn diese »nicht verhindert, dass (a) persönliche Daten von Lehrerinnen (b) durch Minderjährige (c) ohne deren Wissen und (d) gegen deren Willen (e) für politische Propagandazwecke (f) gesammelt und auf einer AfD-Propagandaseite veröffentlicht werden - dann verhindert sie gar nichts«.

Der Landesschülerrat Sachsen bezeichnet den AfD-Vorstoß als »sachlich schwachsinnig« und undemokratisch. Sprecher Noah Wehn betonte, Lehrer sollten zwar »parteipolitisch neutral« bleiben. Zugleich sei es aber ihre Pflicht, in der politischen Bildung zu »Diskussion und kritischer Betrachtung« anzuregen. Nur so könne die »Ausbildung von Mündigkeit« geschehen. Auch sollten sich Lehrer vor die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellen. »Beides schließt ein, sich kritisch mit einzelnen Parteien auseinanderzusetzen«, sagte Wehn. Pascal Begrich, der Geschäftsführer des Vereins Miteinander in Magdeburg, sagte, Lehrer dürften politisch gar nicht neutral sein, und zitiert zum Beleg das Schulgesetz von Sachsen-Anhalt. Es fordert Lehrern auf, sie sollten »Werthaltungen vermitteln, welche Gleichachtung und Gleichberechtigung (...) fördern, und über Möglichkeiten des Abbaus von Diskriminierung und Benachteiligung aufklären«.

Gehe die Plattform online, hofft Gebhardt, man könne sie »mit fantasievollen Mitteln ins Leere laufen« lassen. Im Zweifel müssen Lehrer aber individuell gegen den Pranger vorgehen. GEW und DGB in Sachsen avisierten für diesen Fall bereits eine »umfassende Unterstützung in möglichen Auseinandersetzungen«.