nd-aktuell.de / 17.10.2018 / Kultur / Seite 14

Dunkles vom Zustand der Menschheit

Das Ballett des Nordharzer Städtebundtheaters tanzt »Pandora«

Volkmar Draeger

Viele Ballettdirektoren hat das Nordharzer Städtebundtheater bereits gesehen. Seit 1992 gibt es diese Partnerschaft, bei der sich Halberstadt und Quedlinburg die Finanzierung eines gemeinsamen Drei-Sparten-Ensembles teilen. Die Sparte Ballett gibt es in Halberstadt allerdings schon seit der Saison 1936/37. Zu DDR-Zeiten nannte sich der Flachbau in Randlage Volkstheater und beschäftigte 15 Tänzer vornehmlich deutscher und bulgarischer Herkunft; ab 1976 zog dort Ballettmeisterin Christel Schröder mit Klassikern das Publikum an. Nach der Wende folgten ihr eher kurzzeitig der Deutsch-Ägypter Tarek Assam und der Pole Tomasz Kajdanski. Ein Jahrzehnt prägte dann Kajdanskis Landsmann Jaroslaw Jurasz mit einem vielseitigen Repertoire zwischen »Othello«, »Dracula« und Studioproduktionen den Geschmack der Zuschauer und löste im Nordharz eine regelrechte »Ballettomania« aus. Sein tragisch früher Tod bedeutete eine schmerzliche Zäsur. Es ist nun an dem Türken Can Arslan, eine Brücke von der Ära seines beliebten Vorgängers in eine neue Gegenwart zu schlagen.

In der vierten Spielzeit tut er das bereits und hat dabei Erfolge zu verzeichnen, auch wenn ihm nur noch je vier internationale Tänzerinnen und Tänzer geblieben sind. Arslan, zuvor Tänzer an der Deutschen Oper Berlin, hat lange Jahre als freiberuflicher Choreograf gearbeitet, etwa in Würzburg und Kiel, bis ihn der Ruf nach Halberstadt erreichte. Man lerne hier, mit minimalen Bedingungen umzugehen, sagt er, kann auf einen respektablen Spielplan und zunehmende Akzeptanz des noch auf Jurasz eingeschworenen Publikums verweisen.

Vier Premieren pro Saison stemmen er und sein Team. Als Großprojekt ist nächste Spielzeit gar »Schwanensee« in eigener Konzeption geplant, hinzu kommen jeweils ein Märchenballett für die ganze Familie, ein Kammertanzabend sowie ein Beitrag für die Domfestspiele. Eben für jeden etwas, resümiert Arslan. Seitens der Intendanz habe er alle Freiheiten, so könne er für »Die kleine Meerjungfrau« im November eine Auftragskomposition anfertigen lassen. Zuschauer hat er mit »Coppélia« und »Der Nussknacker« ins Haus gelockt. Nun wagt er mutig ein größeres Vorhaben: Mozarts »Requiem« als Produktion mit Sängern, Chor, Orchester und natürlich »seinen« acht Tänzern.

Gegenwärtig stehen sie mit einem Kammertanzprojekt abwechselnd in Halberstadt und Quedlinburg auf der Bühne. Anspruchsvoll ist die Fragestellung für »Pandora«. Verknüpft Arslan doch den griechischen Mythos der gottgeschaffenen Frau mit einer Büchse voller Übel und den sieben christlichen Todsünden. Arslan will nach eigenen Worten herausfinden, welchen Stellenwert für das 21. Jahrhundert jene moralisierenden Verhaltensvorgaben noch haben.

Weiß gefaserte Wände ragen in Sandra Dehlers Dekoration auf der Bühne in Quedlinburg dreiseitig auf, sieben knallrote Kisten reihen sich davor. Jede und jeder der sieben Tänzerinnen und Tänzer umklammert ein Glaskästchen, das innen aufleuchtet - soll damit die Isoliertheit des Individuums symbolisiert und auf den radioaktiven Leuchteffekt des Urans angespielt werden, dessen Spaltung dem 20. Jahrhundert so viel Unglück beschert hat? Schwarze T-Shirts, Metapher des Unheils, quellen hervor, werden übergestreift.

Nur Pandora, getanzt von Masami Fukushima, verweigert die Verwandlung und muss eine Stunde mit ansehen, wie die Menschen nun miteinander umgehen. Zunächst öffnen sie die roten Kisten, vielleicht ihr verteidigter Privatbesitz, sammeln etwas hinein und fügen die abgestreiften T-Shirts hinzu. Dann ereignen sich verschiedene Begegnungen, zu Paaren oder Trios, in Angst, Liebesversuch, Lethargie, Attacke. Dunkel tönt die leidvolle Musik von Béla Bartók, erklingen Rhapsodien, ein Konzert, eine Sonate. Trotz mancher choreografischer Einfälle bleibt vieles ohne klare Botschaft.

Noch widersetzt sich das 21. Jahrhundert einer moralischen Bewertung. Ungeteilt positiv konnte sich das junge Ensemble präsentieren, besonders Caterina Cerolini mit ihrem körperplastischen Ausdruck. Das macht neugierig auf die weiteren Vorhaben des Theaters.

Nächste Aufführungen: 1. November (Halberstadt), 21. Oktober und 8. November (Quedlinburg)