nd-aktuell.de / 19.10.2018 / Kultur / Seite 14

»Ihn verließ die Ruhe nicht«

Hans Serelman, ein deutscher Arzt in der französischen Résistance

Werner Abel

Die Vorlage für die Nazis lieferte der in den 1920er Jahren (leider) viel gelesene Schriftsteller Artur Dinter in seinem Buch »Die Sünde wider das Blut«. Pseudowissenschaftlich aus der Tierzucht abgeleitet, stellte er die These auf, dass der Geschlechtsverkehr eines Juden, eines Angehörigen einer »niederen Rasse«, mit einer »höherrassigen« Arierin deren Körper derart verderben würde, dass sie künftig nur noch Bastarde gebären könne. Man könnte das als Ausfluss eines irren Antisemiten abtun, wäre damit von den Nazis nicht tausendfach »Rassenschande« begründet worden.

Nun geschah aber 1934 in dem kleinen sächsischen Ort St. Egidien bei Niederlungwitz in der Nähe von Chemnitz etwas, was selbst die schmutzige Fantasie Dinters nicht einkalkuliert hatte: Der in Niederlungwitz wohnende jüdische Arzt Dr. Hans Serelman, Kommunist noch dazu, verabreichte einer durch schwere Wehen bedrohten »arischen« Frau eine Eigenbluttransfusion. Trotz aller Bemühungen verstarb die Frau, aber ihr Kind konnte gerettet werden. Zehn Tage später wurde der Arzt verhaftet und zunächst im KZ Hohnstein, dann im KZ Sachsenburg inhaftiert. Obwohl für die Nazis nunmehr »Rassenschänder«, scheint seine Hilfe für die Patientin nicht der Grund für die Inhaftierung gewesen zu sein. Jüdischen Ärzten war ihre Tätigkeit zwar erschwert worden, aber die Nürnberger Rassengesetze wurden erst im September 1935 erlassen. Als jedoch die einflussreiche »New York Times« berichtete, Serelman sei als »Rassenschänder« ins KZ gekommen, wurde eine Legende geboren, die sich bis heute in der medizinhistorischen Literatur findet. Natürlich hassten die Nazis den Juden Serelman, aber ihr Vorgehen galt wohl eher dem Kommunisten und Antifaschisten.

Es war ein kurzes, aber ereignisreiches Leben, das der Biologie- und Sportlehrer Konstantin Seifert erforschte und in den historischen Kontext einbettet. Der 1898 in Berlin geborene Protagonist, seit 1921 in der kommunistischen Studentenbewegung und der KPD aktiv, wirkte im Proletarischen Gesundheitsdienst, in der Internationalen Arbeiterhilfe, im Internationalen Bund der Opfer des Krieges und im Arbeitersportkartell. Es war nur konsequent, dass sich Serelman im Spanischen Krieg zu den Internationalen Brigaden meldete und als Feldarzt und als Mediziner in verschiedenen Hospitälern arbeitete. Er nahm an der letzten großen Offensive der Republik, der Ebro-Schlacht, teil. »Unsere Arme waren rot von Blut bis an die Ellbogen ... Ihn verließ die Ruhe nicht und er behandelte die Soldaten ohne Pause, bis der letzte Mann versorgt war«, schrieb ein Kamerad über ihn. Traurig nur, dass ihm die eigenen Genossen misstrauten, ihm »trotzkistisches Verhalten« vorwarfen. Nach der Niederlage der Republik floh Serelman nach Frankreich, wo er unter entwürdigenden Bedingungen interniert wurde, dann wieder als Arzt tätig war und 1941 eine Studie über den Einsatz von Insulin bei Wundbehandlungen publizierte. Nach dem Einfall der Wehrmacht wurde er an die Nazis ausgeliefert. Es konnte fliehen und wurde (wohl der einzige deutsche) Arzt in der Résistance, im Maquis. Bei einem Gefecht am 19. Juni 1944 nahe der Gemeinde Oloron-Sainte-Marie kam er zu Tode.

Ein Grabstein erinnert heute an ihn. Hans Serelman wird in Frankreich als Angehöriger der Franc-tireurs et partisans (FTP) und der Forces françaises de l’intérieur (FFI) geehrt. In beiden Teilen Deutschlands war er in Vergessenheit geraten. Seifert schließt nun die Erinnerungslücke. Hans Serelmans Leben böte Stoff für einen spannenden Film, vermerkt zu Recht Enrico Hilbert im Klappentext des Buches.

Konstantin Seifert: Mediziner, »Rassenschänder«, Interbrigadist ...? Hans Serelman, der deutsche Arzt des Maquis. Verlag Hentrich & Hentrich, brosch., 263 S., 24,90 €.