nd-aktuell.de / 19.10.2018 / Kultur / Seite 15

Schwarzer Traumschiffkanal

»Deutschland 86« ist so klischeebeladen wie die Vorgängerserie »Deutschland 83«

Jan Freitag

Die DDR war 1986 ein ziemlicher Sauhaufen. Schon bei »Deutschland 83« sah das Publikum in einen Abgrund krimineller Energie, deren Devisenhunger vor keiner Schweinerei zurückschreckte. Und das wird drei Jahre später keineswegs besser, wenn die RTL-Serie zum Videoportal Amazon wechselt. Nach seinem Westeinsatz als Ostagent ist Martin (Jonas Nay) zwar in Afrika abgetaucht. Doch kaum hat ihn seine Führungsoffizierin Elenora (Marie Schrader) entdeckt, findet sich der Spion im Kalten Krieg wieder, den die ruinierte DDR durch Waffendeals mit Kapstadts Apartheidregime gewinnen will, von Menschenversuchen für kapitalistische Unternehmen ganz zu schweigen.

Auch in der zweiten Staffel dieser (außer hierzulande) weltweit erfolgreichen Politikthriller-Serie lernen wir also: Der real existierende Sozialismus hat den Untergang aber mal so was von verdient! Wenn Walter Schweppenstette (erneut hinreißend: Sylvester Groth) nach getaner Schandtat heimkehrt, schaltet schließlich selbst er von Edes »Schwarzem Kanal« zum »Traumschiff« um, das er den Werktätigen zur moralischen Erbauung kaufen möchte. »Wenn’s fürs ZDF zu alt ist«, sagt der Generalmajor der HVA zwischen Zynismus und Fatalismus, »ist es für uns gerade richtig.« Noch Fragen?

Ja! Warum müssen deutsche TV-Charaktere selbst dann so durchschaubar sein, wenn sie von einer US-amerikanischen Autorin (Anna Winger) auf einem US-amerikanischen Portal (Amazon) stammen? Die Antwort ist schlüssig, aber trist: Weil das Gros der Zuschauer ratzfatz abschaltet, sobald es zu kompliziert wird. Vom Feuilleton gefeierte Quotendesaster wie »Breaking Bad« und »Six Feet Under« können davon fatalistisch zynische Lieder singen. In »Deutschland 86« ist daher alles klar: Hier die Wesensfieslinge von Anke Engelke als Geldbeschafferin Ost bis Arnd Klawitter als Pharmalobbyist West, da ihre aufrechten Gegner wie die DDR-Ärztin Tina (Fritzi Haberlandt) oder ein BRD-Aktivist (Ludwig Trepte), der allen Ernstes unter dem Namen Alex Edel gegen das System kämpft.

Solche Klischees täuschen indes nur selten darüber hinweg, dass die neuen zehn Teile wie die alten gelungenes Popcorn-Entertainment für den Mainstream sind. Die Handlungsverlagerung gen Afrika und Orient verleiht der biederen Berlin-Bonner Vorwendeaura kosmopolitischen Glanz. Musik, Kostüme, Kulissen, selbst die konsequente Untertitelung fremdsprachiger Dialoge - alles auf höchstem, akkurat dezentem Fernsehniveau. Und wenn der zusehends zweifelnde Held nach einer theatralisch übertriebenen Massenschießerei mit angolanischen Freiheitskämpfern und staatenlosen Söldnern im Dollarscheinregen blutet, hat Produzent Nico Hofmann völlig recht, dass »die tarantinohafte Persiflage von Actionelementen eine Art Freiheit erfordert, die Amazon wahrscheinlich eher gewährt als lineare Fernsehsender«.

Andererseits war es das Verdienst von RTL, den Fokus auf die mal drollige, mal tödliche Absurdität deutsch-deutscher Systemfeindschaft zu legen. Das Ergebnis ist ein verblüffend vielschichtiges Glossar der Achtziger, deren Zeitgeist mal nicht in den üblichen Tophits ersäuft wurde, sondern eigensinnige Figurenzeichnungen erlaubt hat. Dass Amazon zum Start der Fortsetzung einen Pop-up-Store am Hackeschen Markt eröffnet, in dem nach eigener Ankündigung »Technik, Style, Kultur und eine Vielzahl von Kultprodukten der 80er« erhältlich sind, zeigt, wo die Reise hingeht: Zur dritten Staffel, die längst in Arbeit sein soll. Man darf das durchaus als Drohung verstehen.

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