nd-aktuell.de / 19.10.2018 / Politik

Reuls Wahrheiten

Rücktrittsforderungen gegen den nord­rhein-west­fä­lischen Innenminister häufen sich.

Sebastian Weiermann

Und schon wieder wurde Herbert Reul bei einer Aussage erwischt, die so nicht ganz zutrifft. Am 9. Oktober wurde der nord­rhein-west­fä­lische Innenminister in einem Interview mit dem WDR darauf angesprochen, ob die Polizei mit dem Dauereinsatz im Hambacher Forst überfordert worden sei und deswegen die Kriminalität an anderen Orten ansteige. Reul bezeichnete die Vorwürfe als «riesen Gequatsche». Vor den Protesten im Wald habe sich auch niemand dafür interessiert, dass jedes Wochenende tausende von Polizisten aus anderen Bundesländern für die Sicherung von Demonstrationen und Fußballspielen angefordert worden wären. Erst seit den Einsätzen im Hambacher Forst gibt es eine Problematisierung solcher Fälle.

Tausende Polizisten aus anderen Bundesländern in Nordrhein-Westfalen? Das gibt es selten, wie eine Anfrage des «nd» im Innenministerium aufdeckt. «Im Jahr 2018 hat das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt in fünf Fällen Einheiten der Bereitschaftspolizei der Länder sowie des Bundes angefordert.» Im gleichen Zeitraum waren Polizeikräfte aus NRW 19 Mal in anderen Bundesländern im Einsatz. Reuls Aussage von den «tausenden Polizisten aus anderen Bundesländern», sie ist in ihrer Schwammigkeit geschickt gewählt. Eine Lüge kann man ihm nicht vorwerfen, da er nicht sagt, wie oft Polizisten aus anderen Bundesländern nach Nordrhein-Westfalen mussten. Man kann dem Minister jedoch vorwerfen, bewusst ein falsche Bild der Realität gezeichnet zu haben.

Gerade im Kontext Hambacher Forst bemüht sich der Minister, Schreckensbilder zu malen. Bei einem Pressegespräch vor Beginn der Räumungen präsentierte das Ministerium mehrere Tische voller Waffen und gefährlicher Gegenstände, die im Hambacher Forst gefunden wurden. Ein Hinweis darauf, dass nur drei der 28 gezeigten Gegenstände bei Polizeimaßnahmen im Jahr 2018 gefunden wurden, unterblieb allerdings. Ähnlich verhält es sich mit einer Aussage, die Reul im Innenausschuss des Landtags tätigte. Dort sprach er davon, die Waldbesetzer hätten im Anschluss an den tragischen Unfalltod des Bloggers Steffen Meyn «Scheiß drauf, Räumung ist nur einmal im Jahr» skandiert. Diese Aussage wiederholte Reul auch in einem Interview mit der Rheinischen Post. Erst massiver öffentlicher Druck und zahlreiches vorhandenes Videomaterial brachten das Ministerium dazu, die Aussage zurückzunehmen. Der Minister sei «spontan von seinem Sprechzettel» abgewichen, lautet die lapidare Erklärung des Innenministeriums. Zu dem Zeitpunkt der Richtigstellung hatte sich Reuls Falschdarstellung von den empathielosen Besetzern aber bereits verbreitet und zu einem massivem Ansehensverlust für die Klimaaktivisten geführt. Sogar bei einer richtigen Lüge erwischte der WDR den Innenminister. In einem Interview sagte er, die Aufregung um den Hambacher Wald könne er nicht verstehen. Im Raum Aachen würde für Windkraftanlagen schließlich auch eine größere Waldfläche gerodet. Eine glatte Falschaussage, wie der WDR recherchierte. Reul entschuldigte sich dafür.

Es ist nicht das erste Fall, in dem sich Reul entschuldigen musste. Im August sorgte er für Schlagzeilen, als er im Kontext der Abschiebung des angeblichen «Bin Laden Leibwächters» Sami A. davon sprach, Gerichte hätten sich auch am «Rechtsempfinden» der Bevölkerung« zu orientieren. Nach dieser Aussage hagelte es Rücktrittsforderungen. Auch nach den Halbwahrheiten im Kontext des Hambacher Forst wurde schon Reuls Rücktritt gefordert. Etwa von den Jusos in NRW. Eine Unterschriftensammlung für den Rücktritt des Innenministers auf der Internetseite von Campact haben mittlerweile 33.000 Menschen unterzeichnet.