Senat hilft Unversicherten

Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung wurde am Montag eröffnet

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer in Deutschland trotz Versicherungspflicht nicht krankenversichert ist, hat kaum Zugang zu professioneller ärztlicher Hilfe. Bundesweit sind schätzungsweise knapp eine Million Menschen vom sozialen Sicherungssystem der Krankenversicherung abgeschnitten - davon allein in Berlin rund 60 000. Zwischen 6000 und 12 000 Menschen hätten akuten Behandlungsbedarf, schätzt Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD). Um diesen Betroffenen zu helfen, wurde am Montag im Beisein der Gesundheitssenatorin die sogenannte Clearingstelle für nicht Krankenversicherte im »Zentrum am Hauptbahnhof« eröffnet.

Die von der Berliner Stadtmission betriebene Einrichtung soll künftig Menschen beratend zur Seite stehen, die anderweitig keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Mehr als 30 Klienten haben sich demnach bereits in der Einrichtung gemeldet. »Es ist wichtig, dass alle Berliner Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen«, sagte Kolat.

Das Spektrum der Ratsuchenden reiche von bisher familienversicherten Studenten über Rentner bis hin zu arbeitssuchenden EU-Ausländern, heißt es. Sozialarbeiterin Carolin Ochs, die beratend in der Clearingstelle tätig ist, äußert sich ähnlich. Auffällig sei, dass seit deren Einrichtung am 9. Oktober besonders viele Rentner die Clearingstelle aufgesucht hätten, da sie sich die hohen Kosten für ihre Privatversicherung nicht mehr leisten können. Darunter seien viele ehemalige Selbstständige, die die Altersgrenze von 55 Jahren überschritten haben und deswegen nicht mehr zurück in die gesetzliche Krankenkasse wechseln können.

82 Prozent der 270 000 Selbstständigen in Berlin sind laut Gesundheitssenatorin Kolat sogenannte Solo-Selbstständige. Das durchschnittliche Einkommen dieser Erwerbsgruppe liegt unter dem von Festangestellten. »Ein sehr hoher Anteil von Solo-Selbstständigen hat ein Einkommen von 800 Euro im Monat. Davon gehen 46 Prozent an die Krankenkasse«, so Kolat. Nicht selten habe dies eine hohe Verschuldung für die Menschen zur Folge. Ochs will daher so viele Menschen wie möglich wieder in die gesetzlichen Krankenkassen bringen. Sie schildert den Fall einer polnischen Staatsbürgerin, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt und als Haushaltshilfe arbeitet. Bei der Frau sei unlängst Krebs diagnostiziert worden. Weil sie in Polen jedoch nicht mehr gemeldet ist und dort auch keine europäische Krankenversicherung beantragt habe, könne sie in Deutschland mit ihrer Erkrankung nicht behandelt werden. Dabei brauche die Frau dringend ärztliche Hilfe. »Das ist ein großes Problem, auch für die öffentliche Gesundheit«, sagt Ochs. Etwa wenn Klienten mit ansteckenden Krankheiten kämen, sich aber in einer aufenthaltsrechtlichen Anonymität bewegten. Um auch Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus helfen zu können, soll es demnächst anonymisierte Krankenscheine geben, die von der Clearingstelle ausgestellt werden könnten, verspricht Kolat. Derzeit befinde sich das Projekt noch in der Konzeptphase.

Im kommenden Jahr soll außerdem ein sogenannter Notfallfonds an den Start gehen, nach dem Vorbild des »Entbindungsfonds« für schwangere Frauen aus dem EU-Ausland ohne Krankenversicherungsschutz. Mit dem Notfallfonds könnten dann etwa Krankenhauskosten beglichen werden, sagt Kolat. Die Beratungsstelle soll zunächst mit 1,5 Millionen Euro von der Gesundheitsverwaltung finanziert werden. Die Hälfte davon soll dann aber in den Notfallfonds fließen, sobald dieser eingerichtet ist. Ob das Geld des Fonds reichen wird, um allen Klienten zu helfen, bezweifelt die Gesundheitssenatorin. Man sei daher langfristig auch auf Spenden angewiesen, betonte sie.

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