nd-aktuell.de / 10.11.2018 / Kultur / Seite 9

Lesen und lesen lassen

Über alle Zeiten hinweg war und ist folgende Klage oft zu vernehmen: Die Menschheit lerne bedauerlicherweise nichts aus ihren Fehlern; Menschen wiederholten die gemachten Fehler ihrer Vorfahren nach einer gewissen Zeit, weil ihnen die Konsequenzen der Fehler nicht mehr erinnerlich seien.

Das ist bedauerlich, aber auch nicht zu ändern. Würden Menschen keine mehr Fehler machen können und dürfen - auch solche nicht, die die schlimmsten Folgen zeitigten -, dann könnte die Menschheit nichts dazulernen, denn nur aus Fehlern lernen wir. Das ist die Doppelbödigkeit des Fehlerprinzips.

Womit wir bei ganz aktuellen Fehlern sind. Die Autorin Margarete Stokowski hat eine Lesung in einer Münchner Buchhandlung abgesagt. Als Grund hat sie angegeben, dass in dieser Buchhandlung auch Bücher des neurechten Verlages Antaios stehen. Dessen Eigentümer Götz Kubitschek ist eine Art intellektuelles Bindeglied zwischen den parlamentarischen Rechtsnationalen der AfD und dem militanten rechtsextremen Milieu. Sein «Institut für Staatspolitik» dient zur politischen Schulung des rechten Nachwuchses; auch AfD-Politiker haben dort ihr rhetorisches Handwerk gelernt.

Michael Lemling, in dessen Buchhandlung Stokowski ursprünglich aus ihrem Buch «Die letzten Tage des Patriarchats» lesen wollte«, findet dagegen, dass Kubitschek und seine Autoren eine intellektuelle Herausforderung seien. »Die schreiben Artikel auf einem Niveau, bei dem man erst mal ins Schleudern kommt. Das Wort vom Rechtsintellektuellen ist da schon richtig. Die haben auch eine Lesebegeisterung, die manchen Linken heute abgeht«, rechtfertigt Lemling, ein bekennender Linksliberaler, die Präsentation der Antaios-Bücher in seinem Laden.

Nun ist gegen das Lesen von solchen Büchern nichts einzuwenden, beim Argument, man müsse sich intellektuell mit Kubitschek und Konsorten auseinandersetzen und die liberale Gesellschaft solle ihnen mit Toleranz begegnen, fällt einem jedoch ein Fehler ein, den Liberale schon einmal gemacht haben - und den sie bitter bezahlen mussten. »Wenn unsere Gegner sagen: ›Ja, wir haben Euch doch früher die (... ) Freiheit der Meinung zugebilligt.‹ Ja, Ihr uns! Das ist doch kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! (... ) Daß Ihr das uns gegeben habt, das ist ja ein Beweis, wie dumm Ihr seid!« Das sagte Kubitscheks Bruder im Geiste, Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, im Jahr 1935. jam Foto: imago/Chromorange