nd-aktuell.de / 24.11.2018 / Politik / Seite 24

Das macht die schönste Theorie kaputt

Schon der Asytrophysiker Stephen Hawking wollte nichts von Empirie wissen, meint Steffen Schmidt im Interview

Ines Wallrodt

Du hast dich vor Jahren mit Nationalstaaten südlich der Sahara befasst. Warst du eigentlich mal vor Ort?

Im Rahmen meiner Promotion wäre das vielleicht möglich gewesen. Einer meiner Gutachter war an der Verfassung von Mosambik beteiligt und der andere an der Verfassung von Südjemen, nee, nicht an der Verfassung, am Parteiprogramm der Jemenitischen Sozialistischen Arbeiterpartei. Aber ich bin der Meinung, eine gute Theorie leidet unter zu viel Nähe zum Objekt.

Feldforschung ist so verkehrt nicht.

Zu viel Empirie macht die schönste Theorie kaputt. Außerdem zeigt beispielsweise die Medizin immer wieder, wie leicht man ohne brauchbare Theorie Unsinn aus Daten lesen kann.

Wenn die Theorie nun aber Quatsch war ...

Was meinst du, warum hat der unlängst verstorbene Stephen Hawking gerade Astrophysik gemacht?

Äh ...

Genau deswegen. Man kann ihm die schönen Theorien nicht einfach durch irgendein blödes Experiment kaputtmachen. Wie ich mal gelesen habe, ist er genau deshalb auf die Astrophysik gekommen.

Klingt irgendwie schräg. Aber kommen wir zurück zur Theorie.

Ich hatte damals geschrieben, dass Nationen nur entstehen, wenn es auf einem bestimmten Gebiet halbwegs geschlossene ökonomische Reproduktionskreisläufe geben kann. Ich finde, das hat sich bestätigt. So ist trotz der enormen Größe in China und selbst im Einwandererstaat USA eine Nation entstanden. Länder dieser Größe können sich notfalls ihren eigenen Weltmarkt machen.

Aber diese vielen ethnisch zersplitterten Länder in Afrika?

Bei der internationalen Arbeitsteilung der Gegenwart ist es kein Wunder, dass sich da nicht mehr so einfach ein nationaler Zusammenhalt herausbildet. Ich war damals auch zu dem Schluss gekommen, dass es schwierig wird. Für die Industrie brauchst du große Märkte. Also mindestens größere Nationalstaaten, oder aber du musst Freihandel befördern, wie das die Engländer gemacht haben. Das hat sie allerdings nicht daran gehindert, Konkurrenzprodukte mies zu machen, was ja die ursprüngliche Idee der Beschriftung »Made in Germany« war. Das sollte die Engländer eigentlich darauf hinweisen, dass es sich um minderwertige auswärtige Ware handelt. Das war damals quasi wie unser heutiges »Made in China«.

Freihandel hat mit »fair« sowieso nicht viel zu tun.

Das schlug dann irgendwann zurück, aber inzwischen schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung, wenn man an die deutschen Autos denkt. Aber gut, die Engländer produzieren selbst auch fast keine mehr.