nd-aktuell.de / 24.11.2018 / Politik / Seite 22

Erfahrung macht klug

Von Iris Rapoport , Boston und Berlin

Iris Rapoport

Erfahrungen weiterzugeben ist schwierig. Das gilt auch für die genetische Weitergabe von Erfahrungen mit Krankheitserregern. Lediglich mit einem Ungeborenen oder Säugling kann ein erworbener Immunschutz geteilt werden - und das auch nur mittels der »Hardcopy«: den Antikörpern.

Jeder Antikörper besitzt für einen Erreger zwei hochspezifische Bindungsorte. Deren Passgenauigkeit entsteht erst als Reaktion auf den Erreger, der als »Anti«-Gen wirkt. Er löst durch seine Struktur und chemischen Eigenschaften die Bildung von spezifischen Antikörper-Genen aus. Die wiederum initiieren die Bildung von Antikörpern, deren Aminosäureabfolge es gestattet, sich an den Erreger mit vielfältigen Wechselwirkungen anzuheften. Jede einzelne davon ist schwach. Doch dank ihrer Vielzahl und Passgenauigkeit resultiert trotzdem eine sehr starke und spezifische Bindung. Eben diese perfekte Anpassung an einen Erreger ist es, die nicht vererbt werden kann und die jede Generation zwingt, eigene Immunerfahrungen zu sammeln.

Vererbt wird lediglich der generelle Bauplan für Antikörper. Der sieht für ein Immunglobulin zwei leichte und zwei schwere Molekülketten vor. Die sind paarweise identisch und fest durch Atombindungen verknüpft. Sie bilden eine Y-ähnliche Struktur. Die Bindungsorte befinden sich an den Enden der beiden gespreizten Arme und gleichen zwei »Händen«. Mit denen kann der optimierte Antikörper den Erreger fest und irrtumsfrei greifen.

Dort, wo die Struktur des Antikörpers sich öffnet, befindet sich eine Art Scharnier. So sind beide Arme flexibel und können gleichzeitig zupacken.

Das ist unbedingt nötig, denn nur dann können die Antikörper uns ganz von dem Erreger befreien. Es genügt nicht, dass sie die Oberfläche eines Erregers bedecken und ihn neutralisieren. Er muss auch zerstört werden. Da Antikörper das selbst nicht können, locken sie Fresszellen an oder aktivieren das Komplementsystem. All das erledigen sie, sobald die »Hände« die Beute ergriffen haben, mit ihrem »Bein«.

Dieses »Bein« wird durch die Enden der schweren Molekülketten geformt. Dessen Aufbau kann nicht vom Erreger verändert werden. Von unterschiedlichen Plasmazellen gebildet, ermöglichen fünf verschiedene »Beine« bei gleicher Immunspezifität die Existenz verschiedener Antikörperklassen. So gibt es neben dem Immunglobulin G (IgG), dem wichtigsten Antikörper im Blut (der als einziger die Plazenta passieren kann), noch weitere. Vor allem wäre das IgA zu nennen, bei dem jeweils zwei Antikörper verbunden sind. Als meistproduziertes Immunglobulin ist es in allen Schleimhäuten, in unseren Tränen und selbst in der Muttermilch zu finden.

Das IgE schließlich kann man getrost als schwarzes Schaf der Antikörper-Familie bezeichnen. Eigentlich zum Schutz gegen Parasiten gebildet, ist es speziell unter den hygienischen Bedingungen des Stadtlebens nicht ausgelastet und fällt unangenehm als Auslöser von Allergien wie Heuschnupfen auf.

Landbewohner leiden darunter weniger, denn: Erfahrung macht klug.