nd-aktuell.de / 26.11.2018 / Kultur / Seite 14

Auf Augenhöhe

Die deutschtürkische Journalistenlegende Baha Güngör ist tot

Nelli Tügel

Als am 24. Juni dieses Jahres in der Türkei gewählt wurde, war Baha Güngör noch als hellwacher Kommentator zu erleben. Obgleich schon im Ruhestand, luden Fernsehsender Güngör regelmäßig dazu ein, jenes Land zu erklären, das er - geboren 1950 in Istanbul - im Alter von elf Jahren Richtung Aachen verlassen hatte. Und das Erklären beherrschte er ausgesprochen gut: faktenreich, einordnend, klar und in alle Richtungen kritisch.

Im Jahr 1961, in dem Baha Güngör nach Deutschland kam, wurde das erste Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei geschlossen. Bis dahin beschränkte sich die Zahl der in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger auf wenige Tausend. Fünfzehn Jahre und mehr als eine Million Einwanderer später, wurde Güngör 1976 der erste türkeistämmige Volontär bei einem deutschen Medium - bei der »Kölnischen Rundschau«.

Auf einem Bundeskongress der von ihm mitbegründeten »Neuen deutschen Medienmacher« erzählte Güngör 2014, wie er nach der Bewerbung bei der Zeitung einen Probekommentar verfassen sollte: über den herabwürdigenden »Türkenwagen« im Rosenmontagsumzug. Er habe geschrieben, so Güngör, dass der Karneval zu Deutschland gehöre und dass »die Türken damit leben müssten« - auch weil er fürchtete, bei einem kritischen Kommentar den Volontariatsplatz nicht zu erhalten. Er bekam ihn - und sei von da an nur »der Türke« gewesen.

»So, du Türke - ab in die Türkei«, habe sein Chef zu ihm gesagt, als am 1. Mai 1977 auf dem Istanbuler Taksimplatz Menschen erschossen worden waren und Güngör in die Türkei fahren sollte, um von dort zu berichten. Ab 1984 tat er dies dauerhaft, als Türkei-Korrespondent zunächst für die »Westdeutsche Allgemeine Zeitung« und ab 1991 für die Deutsche Presse-Agentur. Von 1999 bis zu seinem Ruhestand war Güngör dann Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

Als Reporter - und auch als Autor, zuletzt von dem 2017 erschienen Buch »Atatürks wütende Enkel« - fiel Güngör immer wieder mit einem kritisch-bedächtigen Blick auf. Er kommentierte nicht nur erbarmungslos den Despotismus des Recep Tayyip Erdoğan, sondern fragte beispielsweise auch nach dem Zutun der Kemalisten zu dessen Aufstieg.

Ihm zu lauschen war ein Genuss, inhaltlich wie auditiv: Man hörte beides, die türkische Herkunft, wie auch den Oecher Einschlag. Und so sah sich Güngör wohl auch selbst: Als ein im Rheinland verwurzelter Mann - er war eigenem Bekunden zufolge großer Karnevalsfreund und begeisterter Fan des 1. FC Köln -, der dennoch auch »Türke geblieben« war. »Aber mit Sicherheit einer, der sich in Deutschland sehr gut zurechtfindet, und der sich hier gut integriert hat«. So formulierte er es 2011 - zum 50. Geburtstag des ersten Anwerbeabkommens - gegenüber Tagesschau.de. Auf die Frage, was Deutschland lernen müsse im Umgang mit Einwanderern, lautete die Antwort des zweifachen Familienvaters damals: »Dass man sie auf Augenhöhe akzeptiert.«

Baha Güngör hat in den vergangenen Jahren also nicht nur die Türkei und ihren (erneuten) Weg in die Diktatur analysiert und erklärt, er hat auch in den deutschen »Integrationsdebatten« immer wieder Stellung bezogen. Noch am 14. September dieses Jahres kommentierte er auf der Social-Media-Plattform Twitter eine Äußerung des Bundesaußenministers Heiko Maas, der geschrieben hatte, nicht Migration, sondern Nationalismus sei die Mutter aller Probleme: »Diagnose richtig, Herr Minister. Welche Therapie?«, fragte Güngör.

Dann verstummte er. Am 22. November starb Baha Güngör im Alter von 68 Jahren nach schwerer Krankheit in Köln.