nd-aktuell.de / 29.11.2018 / Politik / Seite 5

Rechtsradikale ziehen gelbe Westen über

Verschiedene Gruppen versuchen französische Proteste nach Deutschland zu bringen und zu instrumentalisieren

Sebastian Bähr

»Revolution, Ahu!« Diese Worte ruft Dominik Roeseler am Ende eines kurzen Videos, das derzeit im Internet kursiert. Der Clip wurde spätabends in Mönchengladbach in der Nähe eines kleinen Zebrastreifens gedreht. Roeseler und zwei Kompagnons laufen auf dem Straßenabschnitt unentwegt hin und her und versuchen damit den - nicht besonders starken - Verkehr zu stören. Die Autofahrer scheint es nur mäßig zu beeindrucken. Nicht ohne Zufall tragen die drei Unterstützer von »Mönchengladbach steht auf« bei ihrer Aktion gelbe Westen. Wie eine Erklärung am Ende des Videos aufzeigt, beziehen sie sich direkt auf die gleichnamige Protestbewegung gegen Steuererhöhungen für Benzin in Frankreich. Die diffusen, teilweise gewalttätigen und sowohl von Linken als auch von Rechten unterstützten Massenproteste wollen sie nun in Deutschland nachahmen. »Insbesondere für den 1. Dezember wünschen wir uns, so wie es in vielen Gruppen bereits geplant wird, immer größer werdende Aktionen«, heißt es von »Mönchengladbach steht auf«.

Was jedoch erst auf den zweiten Blick auffällt: Roeseler ist ein strammer Rechtsradikaler, laut eigenem Twitterprofil »Gründungsmitglied von HoGeSa und Redner bei Pegida«. Hinter »Mönchengladbach steht auf« verbirgt sich wiederum eine klar völkische Initiative, die auf Facebook unter anderem »Kultur und Identität« fordert. Roeseler ist jedoch nur ein Beispiel von vielen. Bundesweit versuchen gerade verschiedene Kräfte von Rechtsaußen, auf den Zug der »Gelben Westen« aufzuspringen. Für Samstag ruft man bereits zu einem Protest gegen den UN-Migrationspakt am Brandenburger Tor auf. Einige fordern, an diesem Tag bundesweit Zebrastreifen zu blockieren. Andere wollen direkt den Systemsturz - alles mit gelben Westen, versteht sich.

Angefangen hatte die deutsche Organisierung in Chatgruppen der Messengerdienste Telegram und Whatsapp sowie auf Facebook. Unzufriedene Autofahrer hatten sich hier offenbar recht zügig mit allgemein Unzufriedenen und eben Rechtsradikalen vermischt. Mittlerweile gibt es mehrere Dutzend Regionalgruppen, die sich in unterschiedlichem Ausmaß auch über menschenfeindliche Inhalte austauschen. In der Telegram-Gruppe »Rhein-Sieg macht dicht« heißt es etwa »Migrationspakt stoppen - Nein zum Völkermord«. In der Gruppe Berlin-Brandenburg ruft man zur Bildung von »Bürgerwehren« auf. »Kompaniechefs« sollen Funkgeräte erhalten, »Gruppenleiter« im »Trecker« die »Kompanie schützen, falls der Staat handgreiflich wird«. In mehreren Kanälen kursiert eine Liste, die unter anderem die Amtsenthebung von Angela Merkel, die Abschaffung der GEZ sowie den »Schutz des eigenen Volkes« fordert.

Nach Medienrecherchen sollen sich in den Gruppen teilweise einschlägig bekannte Neonazis engagieren und etwa das Verteilen von Flugblättern organisieren. Die Aktivitäten finden mittlerweile aber auch außerhalb des Internets statt. In verschiedenen Städten gab es bereits kleinere Protestaktionen, an denen sich mitunter auch Rechtsradikale beteiligt haben sollen. Das rechte »Frauenbündnis Kandel« war direkt zur Unterstützung einer Blockade ins französische Elsass gefahren. »Erst Macron - dann Merkel«, posaunte man später auf sozialen Netzwerken. Auch die AfD findet Gefallen an den Protesten. Doris von Sayn-Wittgenstein, die Landesvorsitzende aus Schleswig-Holstein, veröffentlichte jüngst ein Bild von sich in gelber Weste. Die Fraktions-Kovorsitzende Alice Weidel forderte die Senkung der Mineralölsteuer.

Dass die »Gelben Westen« in Deutschland eine ähnliche Dynamik entfalten können wie in Frankreich, halten Experten bisher für eher unwahrscheinlich. »Die Situation in Deutschland ist komplett anders als im Nachbarland«, sagte Stefan Lauer von der Amadeu Antonio Stiftung gegenüber »nd«. Nichtsdestotrotz würden unterschiedliche Gruppen aus dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Spektrum für den 1. Dezember weiter mobilisieren. »Es entsteht der Eindruck, dass die ›deutschen Gelbwesten‹ eigentlich nicht genau wissen, wogegen sie auf die Straße gehen wollen - vor allem, da Migration bei den Protesten in Frankreich eigentlich keine Rolle spielt«, sagte Lauer weiter. Das erkläre vielleicht auch einige der absurderen Aufrufe, zum Beispiel Zebrastreifen zu blockieren.