nd-aktuell.de / 01.12.2018 / Kultur / Seite 38

Die falsche Person

Anne Goldmanns neuer Krimi erzählt von Tabus

Gerd Bedszent

Wer ist hier Täter, wer Opfer? Das wohlgeordnete Hausfrauendasein von Theres gerät durch ein unerwartetes Ereignis aus den Fugen. Plötzlich tauchen Bilder aus der Vergangenheit wieder auf: die erste Liebe, die infolge gemeiner Intrigen zerbrach, und ein neugeborenes Kind, das sie nicht behalten durfte.

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Anne Goldmann: Das größere Verbrechen.[1]
Argument Verlag mit Ariadne, 235 S., brosch., 13 €.

Ja, in dem neuen Krimi der österreichischen Autorin Anne Goldmann geht es in der Hauptsache um Frauenfeindlichkeit und Gewalt gegen Frauen. Schon in ihrem Debütroman »Das Leben ist schmutzig« (2011) erzählte sie von einer Hausmeisterin, die ihren gewalttätigen Mann rauswirft und dann feststellt, was in ihrem Haus sonst noch schiefläuft. In »Das größere Verbrechen« geht es um Rassismus, wohlverborgen in der Tiefe der bürgerlichen Gesellschaft.

Die Last einer unerwünschten Schwangerschaft bleibt immer an der Mutter hängen. Zuerst kommen Vorwürfe, sie sei für Verhütung zu blöd, danach heißt es, sie sei eine schlechte Mutter. Adoption ist und bleibt ein Tabuthema.

Der Vater des Kindes von Theres war ein Junge, geflüchtet vor den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien. Die Tochter einem solchen Dahergelaufenen geben - undenkbar! Diese Leute, so hieß es damals, sollten lieber ihre Heimat verteidigen, anstatt davonzurennen wie die Hasen. Eine Argumentation, wie sie in jüngster Vergangenheit hierzulande gegenüber den Flüchtlingen aus dem Bürgerkrieg in Syrien auch immer wieder zu hören war. Das Schicksal von Theres kreuzt sich mit denen anderer Frauen, die ebenfalls eine Last aus der Vergangenheit mit sich herumschleppen.

Da ist beispielsweise ihre Putzhilfe Ana, die Opfer sexueller Gewalt wurde. Und die alte Frau Sudic, die vor ihrer Flucht aus Bosnien Grauenhaftes erleben musste.

Krieg ist immer und vor allem auch ein Krieg gegen die weibliche Bevölkerung. Allein die hier in die Handlung eingestreuten Erinnerungen an diese heute weitgehend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwundenen Bürgerkriegsgräuel auf dem Balkan lohnen die Lektüre dieses Kriminalromans.

Die Autorin springt gekonnt zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her, fördert Vergessenes und Verdrängtes ihrer Heldinnen wieder zutage. Was ist mit dem Sohn? Was mit dem Vater des Kindes? Was mit dem Vater der Heldin? Ein Mord geschieht. Die Polizei ermittelt. Und verdächtigt natürlich zuerst die falsche Person.

Anne Goldmann schildert in ihrer klaren und eindringlichen Sprache gekonnt die Abgründe des scheinbar normalen bürgerlichen Daseins, studiert die Grimassen der sogenannten Anständigkeit und enthüllt Geflechte von Lüge und Verdrängung. Sie scheut sich nicht, in Kellern zu wühlen und Leichen zutage zu fördern. Ein derartiges Ausgraben verdrängter und verleugneter Verbrechen hat in den 1960er Jahren in Deutschland schon einmal stattgefunden. Hier aber betrifft es Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit. Und unserer Gegenwart.

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