nd-aktuell.de / 30.11.2018 / Kultur / Seite 15

Anlärmen gegen staatlich erwünschte Musik

Musik, die dem Staat nicht gefiel: Sounds des Undergrounds der ehemaligen Ostblockländer

Thomas Blum

Dass in der DDR nicht nur Frank Schöbel, die Puhdys und ihresgleichen Unterhaltungsmusik gemacht haben, sondern auch andere, kann heute als bekannt vorausgesetzt werden. Im sogenannten DDR-Underground entstand spätestens in den 1980er Jahren eine Sorte Musik, die nicht mehr der Erwartung entsprechen wollte, dass bitteschön eine Art sozialistische heile Traumwelt abgebildet werden möge. Eine Musik, mit der, hätte er sie gekannt, der in Fragen des Geschmacks aller Erfahrung nach - vorsichtig formuliert - strukturkonservative Erich Honecker sicher nicht einverstanden gewesen wäre: Denn nicht »Aufbau-Walzer« oder »Sing, mei’ Sachse, sing« hießen die Musikstücke der unbotmäßigen jungen Leute, die mit elektronischen Gerätschaften und aus umgebauten Haushaltsgegenständen hergestellten Instrumenten experimentierten, sondern »Krebs ohne Stuhl« (Der Demokratische Konsum) oder »Geh über die Grenze« (Zwitschermaschine). Es handelte sich also um eher skeptisch angelegtes Liedgut, aus dem nicht gerade glühender Zukunftsoptimismus sprach und zu dem auch sicher nicht fröhlich lachend der Lipsi-Schritt getanzt wurde. Vertrieben wurden solche Heimaufnahmen nicht selten per Musikkassette, die staatlichen Plattenfirmen wollten das mindestens defätistische oder dekadente, wenn nicht gar konterrevolutionäre Zeug ja nicht haben. Auch die Texte solcher experimenteller Musikgruppen vermittelten weder sozialistische Moral, noch eigneten sie sich zur Befriedigung des Harmonieverlangens des durchschnittlichen Hörers: »Die Gitarre wurde immer gelber und gelber / Und wurde bald zu einer gelben Banane, einer gelben elektrischen Banane« (AG Geige). Zu solchen surrealen Texten, die schlimmstenfalls obendrein als Kritik an Mängeln des sozialistischen Wirtschaftssystems gedeutet werden konnten (»gelbe Banane«!), erklang dann atonales Quietschen, nervtötendes Alarmanlagenfiepen und analoges Sythesizergehumpe. Im Grunde hörte das Material sich also auch nicht sehr viel anders an als der einschlägige Post-Punk im Westen (man denke etwa an Bands wie Der Plan oder The Wirtschaftswunder), nur dass es im Osten halt meist nicht frei vertrieben werden konnte.

Der soeben erschienene Sampler »Notes from the Underground (Experimental Sounds Behind The Iron Curtain)« versammelt neben solchen aus der DDR auch viele Künstler/Bands aus anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks, die, gelegentlich mit Strategien der Ironie und Parodie, gegen die staatlicherseits erwartete bzw. erwünschte Musik anlärmten. Die musikalische Bandbreite reicht vom gediegenen Progressive-Rock-Stück über Art-Punk bis zum Industrial und radikalen Noise- und Geräuschexperimenten.

Die vorliegende Compilation kann auch als nachgeschobener Soundtrack zu der Ausstellung »Notes from the Underground - Alternative Musik und Kunst in Osteuropa 1968 - 1994« verstanden werden, die bis vor einigen Monaten in der Berliner Akademie der Künste zu sehen war und die das Treiben der in den Ländern des sogenannten Ostblocks im Untergrund tätigen Kunst- und Musikszenen dokumentierte.

Various Artists: »Notes from the Underground (Experimental Sounds Behind The Iron Curtain)« (Edition Iron Curtain Radio/Major Label/Broken Silence)