nd-aktuell.de / 01.12.2018 / Kultur / Seite 42

Königin mit Künstlern und Knackern

Joost Zwagermans Roman »Gimmick!« erscheint drei Jahrzehnte nach seiner Erstauflage auf Deutsch

Silvia Ottow

Es ist an diesem Abend schon die zweite oder dritte Linie Koks für den Künstler Walter van Raamsdonk. Auch dem ersten Glenfiddich sind längst weitere gefolgt. Zwischendurch hat er eine Valiumtablette aus der Pillenschachtel gefischt. Wir sind im »Gimmick«, einem Club in Amsterdam, Ende der 1980er Jahre. Zwei Etagen. Drogen. Extase. Abgefahrene Musik. Gespräche über maximale Poesie, Konzeptkunst, Sex, Aktien, Geld, Bestseller und »die ganze stinkende Scheiße«. Alles könne man machen, beschreibt ein Malerkollege die damalige Kunstszene. Niemand wundere sich und alle kauften alles. »Es gibt nichts mehr umzustürzen, man kann niemanden mehr provozieren, jede Rebellion läuft ins Leere.«

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Joost Zwagerman: Gimmick![1] Roman.
A. d. Niederl. v. Gregor Seferens. Weidle Verlag, 287 S., br., 23 €.

Künstler würden zu Popstars und Geschäftsleuten. Er, Wim Eckhardt, habe gelernt, im Sumpf mitzuschwimmen, für die eigentliche Arbeit habe er vier Leute angestellt. Währenddessen kümmere er sich um den Verkauf der so entstandenen Werke im Ausland und gebe Interviews. Mit seinem Taschentuch versucht er, die Schweißergüsse zu bändigen, die über sein Gesicht laufen. War es etwas zu viel oder war der Stoff nicht gut? Darauf noch ein Pils.

Sie alle hier koksen, kiffen und kübeln, als gäbe es kein Morgen. Die meisten sind in Begleitung einer oder gleich mehrerer »Superbräute«. Das ist Zwagermans Protagonisten nicht vergönnt, denn seine geliebte Sam, die eigentlich Suzan Fortuyn heißt, hat ihn nach Jahren kaum fassbaren Glücks verlassen. Seither kreisen Raams Gedanken nur noch um die Fragen: Fickt sie mit jemand anderem? Mit wem? Und wie? Kann er sie zurückgewinnen? Seine Bilder, mit denen er im Lande bereits bekannt geworden war, rücken in den Hintergrund. Sein Atelier betritt er im Verlauf der fünf oder sechs Monate, in denen der Roman spielt, nur noch einmal. Da ist die Verrottung in seiner Seele schon derart fortgeschritten, dass er ohne Skrupel ein paar Bilder seines Freundes als eigene ausgibt, um sich ein Stipendium des Künstlerrates zu erschleichen. Anstatt zu malen oder über Lebenspläne nachzusinnen, sucht er in Italien, New York oder auf Teneriffa unter dem Vorwand, künstlerische Anregung zu finden, Zerstreuung. Auch dort geht es lediglich um Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll. All das zieht ihn noch weiter nach unten. Eine Ausstellung in Santa Cruz gerät zum Fiasko. Statt Kunst nur noch Geschwafel.

Der Höhepunkt am Ende des Romans ist eine Ausstellungseröffnung all der uns jetzt so vertrauten Künstler im Stedelijk Museum Amsterdam in Anwesenheit der niederländischen Königin. Man weiß nicht, wo in der illustren Runde die größten Gauner stehen: bei den Royals, den Politikern, den Künstlern oder den anderen Knackern. Denn Selbstbetrug ist keine Besonderheit der Kunstschickeria. Man findet ihn überall in der Gesellschaft. Bis heute.

Zwagermans Tabulosigkeit ist mitunter anstrengend, denn er macht nicht einmal vor der Toilette halt und verliert sich in ausschweifenden pornografischen Schilderungen. Das passt aber haargenau auf die Situation und die Gefühlslage der Gestalten. Wie ein Sturm treiben einen die Ereignisse durch die Seiten. Der legt sich am Ende wie er kam. Das »Gimmick« ist nach einem halben Jahr schon wieder Vergangenheit, die Szene ist weitergezogen. Zurück bleiben Sätze wie diese: »Ich kenne keinen, der andere grüßen lässt.« Oder: »Ich wusste gar nicht, dass ich mich so über Dinge aufregen kann, die mich überhaupt nicht interessieren.« Oder: »Ich habe eigentlich nie Lust, irgendwo hinzugehen. Meistens habe ich nur Lust, irgendwo wegzugehen.« Danach kann man süchtig werden. Eine Viertelmillion Leser in den Niederlanden haben das bereits erlebt.

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