nd-aktuell.de / 01.12.2018 / Kultur / Seite 13

Überall ist Südtirol

Briefe und Gedichte eines fahrenden Außenseiters: Norbert C. Kaser. Von Stefan Ripplinger

Stefan Ripplinger

Wer in trüber Provinz geboren und nicht unbedingt dazu aufgelegt ist, einen ehrbaren Beruf zu ergreifen, in den Schützenverein einzutreten und eine Schar neuer Provinzler zu erzeugen, sollte fliehen. Diesen Rat beherzigte der Südtiroler Dichter Norbert C. Kaser. Er floh. Er floh immer wieder. Aber überall traf er auf Südtirol. Und am Ende soff er sich in Südtirol tot, er wurde 31 Jahre alt.

Eine seiner ersten überstürzten Fluchten führt den damals 23-Jährigen nach Norwegen, ohne Geld, mit der vagen Aussicht auf einen Job. In Südtirol hat er im Jahr zuvor mit seiner »Brixner Rede« verbrannte Erde hinterlassen. Er hat es gewagt, die Literatur des Landes als heimattümelnd und seinen Landsmann Luis Trenker als »Possenreißer« und »Geschäftemacher« zu bezeichnen. Wie vorauszusehen, erheben sich Feuilleton und Mob vereint gegen den jungen Mann, der es daraufhin vorzieht, nach Wien auszuwandern (Näheres dazu in Benedikt Sauers Kaser-Biografie). Aber auch in Wien hält er es nicht lange aus. Nach einer Tramp-Reise - die Überfahrt von Dänemark nach Norwegen erbettelt er sich - landet er auf der öden Insel Stord und trifft dort unter anderem auf einen Beamten, der sehr darunter leidet, dass »er so klein ist: er sammelt komplexe und klass. schallplatten. in der braunen zeit war er begeisterter hitlerianer«. (Kaser liebt die kleinen Buchstaben.) Angesichts dieses Mannes wird Kaser von einer perfiden Fantasie übermannt: »er hat zu dirigieren angefangen. gerne haette ich handschuhe angezogen leise meinen revolver herausgenommen ihm zwischen die augen gelegt gedrueckt dann das ding dem umgefallenen fest in die hand & nichts wie fort. nichts angeruehrt kein geld: ›selbstmord‹ wie im krimi ... so sehr hasse ich diesen menschen. es ist morgen geworden der 1. september ich werde es wohl wieder verschlafen. vielleicht. es stuermt der fjord ist unruhig. auch ich.«

Seine lakonischen und launischen Beobachtungen an sich selbst und an Norwegen, das ihm mal als »land / aus gewalt«, mal als »sumpf aus supersozialismus« erscheint, schickt der unruhige Mann an mehrere Freunde daheim. Einige dieser Briefe erscheinen nun zum ersten Mal im Druck. Kaser fügt Übersetzungen aus aktueller norwegischer Lyrik bei, zitiert auch mal einen lateinischen Traktat über Olav den Heiligen (995-1030) und denkt häufiger, als ihm lieb ist, an die Verhältnisse, denen er zu entfliehen hoffte. Aber was heute die neuen Nazis sind, sind damals die alten. Sie sind überall.

Kasers rhythmische, oft auf Zeichensetzung verzichtende, knappe, farbige Sprache verrät den Dichter. Was so scheinbar spontan aufgezeichnet wird, ist allerdings durch und durch kalkuliert. Das bezeugt nicht nur der Vergleich der Briefe untereinander. Das bezeugt auch das, was er darin auslässt. Denn dass er eine junge Frau »lieben moechte«, berichtet er den Freunden freimütig, doch schreibt er ihnen kein Wort darüber, dass er in Norwegen eine kurze, aber offensichtlich heftige Affäre mit einem Mann hat.

Von dieser schwulen Affäre heißt es in einem seiner Gedichte: »allein meine stirne trieft / von blut & er leckt es mir / von der brust«. Die Gedichte Kasers sind fast durchweg autobiografisch, oft auf schockierende Weise, er schreibt immer über das, was ihm selbst widerfährt. Doch wo andere ihr Ich ausbreiten, verknappt er es unaufhörlich. Der große Reiz von Kasers Lyrik besteht darin, dass er sich im selben Zug ausstellt und zurücknimmt. Nebenbei attackiert er die Provinz, die ihm das Leben verleidet hat: »brenn vaterhaus brenn / brenn großmutterhaus / das vieh ist heraus / sogar die henn.« Um seine nationalistischen Landsleute zu verärgern, schreibt er mitunter auch in Italienisch. Am Ende seines kurzen Lebens tritt der aus einfachen Verhältnissen stammende Dichter in die Kommunistische Partei Italiens ein. Dass er seinen ganz eigenen Sozialistischen Realismus pflegt, versteht sich fast von selbst. »herr ich werde einen betrieb aufbauen / noch bin ich ein mann einmannbetrieb / aber ein sekretaer ist in aussicht«.

Norbert C. Kaser: »hier bin ich niemand d.h. ich. Briefe aus Stord«. Herausgegeben von Ralf Höller. Haymon-Verlag. 142 S., geb., 22,90 €. Norbert C. Kaser: »gedichte«. Gesammelte Werke, Band 1. Herausgegeben von Sigurd Paul Scheichl. Haymon-Verlag. 548 S., br., 34 €.