Der Putsch der schlechten Verlierer

Rechte Parlamente gegen »linke« Spitzenbeamte: Republikaner in Wisconsin haben die Macht demokratischer Politiker beschnitten

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Freitags verkünden, Montags diskutieren, Dienstag abstimmen. Nachdem sie die Midterm-Wahlen verloren haben, haben die Republikaner im US-Bundesstaat Wisconsin die Regeln des Politbetriebes noch schnell zu ihren Gunsten geändert, bevor Anfang Januar Demokraten die wichtigsten Posten im Staat übernehmen.

Sie haben die Macht des Gouverneurs und die anderer gewählter Spitzenbeamter eingeschränkt. Das Gesetzespaket ist 141 Seiten lang und enthält neben anderen Vorstößen eine ganze Reihe konkreter Bestimmungen, die neue demokratische Amtsinhaber betreffen. Etwa eine Regelung, die verhindern soll, dass der neue demokratische Generalstaatsanwalt die Beteiligung an einer Klage mehrerer Staaten gegen Obamacare zurücknimmt.

Zudem wollten die Republikaner die Wahl eines neuen Richters am Obersten Gerichtshof verschieben. Dan Kelly war im April als Nachfolger eines ausscheidenden Richters vom republikanischen Gouverneur Scott Walker ernannt worden und muss sich nun einer Wahl stellen. Parallel zum Wahltermin im April finden im Bundesstaat auch die Vorwahlen der Demokraten statt. Dann werden vor allem enthusiastische Wähler der Demokraten an die Urnen strömen, die hohe Wahlbeteiligung könnte dem Kandidaten der Demokraten helfen. Deswegen wollten die Republikaner die Wahl im März stattfinden lassen, obwohl das sieben Millionen US-Dollar an Mehrkosten bedeuten würde und sich die Administrationen von 60 der 72 Wahlbezirke im Staat dagegen ausgesprochen haben. Nach wütenden Protesten erklärten die Republikaner am Montag, man wolle es bei einem Wahltermin im Frühjahr 2019 belassen. Nach einer Anhörung im Rechtsausschuss am Montag wurde das Gesetzespaket nach einer Marathonsitzung, die Dienstagmittag begann und die ganze Nacht hindurch andauerte, am Mittwochmorgen Ortszeit beschlossen.

Ein strategisch wichtiger Staat

Auch das »early voting«, die Möglichkeit schon bis zu sechs Wochen vor dem eigentlichen Wahltag seine Stimme abzugeben, auf zwei Wochen vor der Wahl begrenzt werden. Das ist im »Swing State« Wisconsin, wo Wahlen traditionell knapp ausfallen und viele demokratische Wähler und abhängig Beschäftigte nicht am Wahltag unter der Woche abstimmen, womöglich von strategischer Bedeutung für die Präsidentschaftswahl 2020. Bei den Midterms waren es 560.000 Menschen, die verfrüht ihre Stimme abgaben. Würde heute in den USA gewählt, wäre Wisconsin laut einer Datenanalyse des demokratischen Super Pac »Priorities USA« der einzige echte »unentschiedene« Staat mit zu knappem Ausgang, um ihn eindeutig Demokraten oder Republikanern zuzuordnen. Ohio und Florida würden laut diesem Modell an die Republikaner gehen.

Laut einer Studie der University of Wisconsin hatten Wahleinschränkungen dazu geführt, dass bei der Präsidentschaftswahl 2016 in den Großstädten Milwaukee und Madison etwa 23.000 Afroamerikaner wegen langer Schlangen vor Wahllokalen nicht wählen konnten. Donald Trump gewann den Staat mit einem ähnlichen Stimmenvorsprung.

Bei den Midterms hatten die Demokraten Anfang November in Wisconsin alle staatsweiten Posten gewonnen. Die lesbische Senatorin und Parteilinke Tammy Baldwin gewann ihre Wiederwahl komfortabel mit zehn Prozent Vorsprung. Mit den Themen Gesundheit und Bildung setzte sich der Bildungspolitiker Tony Evers bei den Gouverneurswahlen knapp gegen den Gewerkschaftshasser und amtierenden Gouverneur Scott Walker durch. Nach Jahren republikanischer Alleinherrschaft wurden zudem mehrere andere Staatsposten, wie der des Generalstaatsanwalts, an die Demokraten vergeben.

Minderheit der Stimmen, Mehrheit der Mandate

Doch auch bei den Midterms erlangten die Republikaner in Wisconsin eine Mehrheit in beiden Parlamentskammern - obwohl nun die Demokraten den Gouverneur und andere Spitzenbeamte stellen. Der Grund: Die Republikaner hatten nach ihrer Machtübernahme 2011 die Wahlkreise bereits zu ihren Gunsten zugeschnitten. Bei den Midterms gewannen die Republikaner daher mit nur 45 Prozent der Stimmen 64 Prozent der Sitze im Staatsparlament. Der »Putsch der schlechten Verlierer«, wie Demokraten das neuerliche Gesetzespaket der Republikaner nennen, ist auch deswegen wichtig. 2020 steht nach dem Zensus die nächste Runde im Zuschnitt der Wahlkreise an. Der demokratische Gouverneur Tony Evers könnte ohne die nun vorgeschlagenen Änderungen unfair zugeschnittenen Wahlkreisen seine Zustimmung verweigern.

Auch wenn die Geschichte politischer Reformen voll sei mit Politikern, die sich selbst Vorteile verschaffen wollen: Er könne sich nicht an ein »so offensichtliches Beispiel« schlechten Verlierertums erinnern, meint der Politikwissenschaftler Thad Koussing von der University of California zu den aktuellen Vorgängen in Wisconsin. Auch der republikanische Staatssenator Luther Olsen gab gegenüber dem Portal »Governing« zu, »optisch« würden die geplanten Veränderungen »wahrscheinlich schlecht aussehen«.

Wisconsins neuer Gouverneur Evers kritisierte die Pläne als »peinlich« und einen Versuch, die Wahlergebnisse von Anfang November rückgängig zu machen. Er kündigte an, gegen die Maßnahmen klagen zu wollen. Demokratische Aktivisten hatten mit mit einer Telefonkampagne und Protesten vor und im Parlament in der Hautpstadt Madison versucht, Abgeordnete der Republikaner unter Druck zu setzen nicht zuzustimmen.

Republikanischer Last-Minute Putsch

Die Macht des Gouverneurs war 2011 nach Amtsantritt von Scott Walker ausgebaut worden. In Wisconsin sind sogenannte »lame-duck« Sitzungen des Parlamentes zwischen der Wahl und der Zusammenkunft des neuen Parlaments sehr unüblich. Zuletzt riefen die Demokraten sie 2008 ein. Sie versuchten damals erfolglos, zuvor ausgehandelte Tarifverträge für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes noch umzusetzen. Anschließend brach der Republikaner Walker die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst und setzte in den folgenden Jahren weitere wirtschaftsfreundliche Maßnahmen um, die die Gewerkschaften in dem Bundesstaat schwächten und zum Vorbild für andere Staaten wurden.

Auch in den Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Ohio versuchen die Republikaner, noch vor Amtsantritt neu gewählter Demokraten deren Macht zu beschränken. Alle diese Staaten sind potenzielle »Swing States« bei den Präsidentschaftswahlen 2020. In allen genannten Staaten gewannen die Republikaner durch das Verschieben der Wahlkreisgrenzen mehr oder weniger deutlich mehr Sitze, als sie Stimmen erhielten.

In North Carolina versuchen die Republikaner noch Wahleinschränkungen durchzusetzen, bevor die Demokraten ab Januar in beiden Parlamentskammern über eine Mehrheit verfügen. Dort hatten die Republikaner 2016 ähnliche Einschränkungen der Macht des neu gewählten demokratischen Gouverneurs beschlossen und diesem unter anderem untersagt, weiter Mitglieder der Wahlkommissionen in den Bezirken zu bestimmen. Ein Bundesgericht urteilte zudem, die 2013 im Bundesstaat eingeführten scharfe Ausweisvorschriften zur Wahl seien verfassungswidrig und hätten sich »mit geradezu chirurgischer Präzision« gegen Afroamerikaner gerichtet. Der mehrheitlich konservativ besetzte US-Supreme-Court vermied aber ein Urteil über die Kernaspekte des Falls und verwies ihn zurück an das Staatsgericht.

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