nd-aktuell.de / 21.12.2018 / Politik / Seite 8

Literat

Der 33-jährige, mit Journalistenpreisen überhäufte Claas Relotius ist gar kein Journalist, er ist vielmehr Romancier

Nelli Tügel

Sucht man nach Bildern von Claas Relotius, findet man vor allem solche, die ihn mit einer Preisurkunde in der Hand zeigen. Nun stellt sich heraus: Der 33-jährige, mit Journalistenpreisen überhäufte Hamburger ist gar kein Journalist, er ist vielmehr Literat. Einer, der sich als Romancier möglicherweise einen Namen machen könnte. Relotius hat über Jahre Reportagen frei erfunden, hat vorgegeben, mit Menschen gesprochen zu haben, zu denen er nie Kontakt hatte, hat Protagonisten erdacht und sich auf Quellen berufen, die es nicht gab. Kurzum: Er hat Kurzgeschichten geschrieben, und zwar solche mit einem Hang zum Kitsch, aber immerhin - der Spannungsbogen funktionierte immer.

Öffentlich gemacht hat diesen Skandal sein Arbeitgeber, das Magazin »Spiegel«. Am Mittwoch äußerte sich das Blatt in einem Text von epischer Länge, dramatisch arrangiert, stilistisch ganz so wie eine der Geschichten, die Relotius selbst schrieb. Der junge Mann, der eigenen Angaben zufolge in Bremen und Valencia Politik- und Kulturwissenschaften studiert sowie ein Masterstudium an der Hamburg Media School absolviert hat, hatte als Freiberufler zudem auch für andere namhafte Blätter wie »FAZ«, »Neue Zürcher«, »Welt« und »Zeit« geschrieben. Bei der »taz« war Relotius vor zehn Jahren Praktikant.

Es gibt ein Interview mit dem Magazin »Reportagen«, in dem Relotius über eine Recherche in einem US-Gefängnis spricht, über Dinge, die er dort erlebte, Gefühle, die er dabei hatte. Was an dem Gesagten wahr ist und was Fiktion - wer weiß. Und ob auch jene Reportage über demente verurteilte Mörder erdacht ist, muss noch geprüft werden. In dem Interview gibt es jedenfalls eine Stelle, an der Relotius erzählt, im Gespräch mit einem Häftling habe dieser geweint - zum ersten Mal seit zehn Jahren, wie die angeblich anwesende Gefängnispsychologin dem »Reporter« versicherte. Hier blitzt, möglicherweise, etwas durch von dem Größenwahn, unter dem Relotius leiden muss. Dass er tatsächlich litt, damit hat der »Spiegel« ihn nun zitiert. Er sei krank, soll Relotius gesagt haben. Und dass er sich Hilfe suchen müsse.