nd-aktuell.de / 29.12.2018 / Berlin / Seite 26

Der Fluchhafen am Stadtrand

Seit Jahren gilt der Airport BER als weitgehend fertig - 2018 natürlich auch.

Tomas Morgenstern

Brandmelde- und Sprinkleranlage, Notstromversorgung, Kabeltrassen - für Schlagzeilen sorgen auch Ende 2018 wieder allzu vertraute Probleme am künftigen Hauptstadtflughafen BER. Vermag sich irgendwer vorzustellen, dass hier in zwei Jahren tatsächlich Berlins kompletter Flugverkehr abgefertigt wird?

Nachdem sich Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup vor Jahresfrist auf Oktober 2020 als Eröffnungstermin festgelegt hatte, hätten die Bauarbeiten am Hauptterminal (T1) inzwischen längst abgeschlossen sein sollen. Jetzt hat er angesichts schrumpfender Zeitreserven alle Mühe, die nötige Zuversicht zu verbreiten. Immerhin hat Lütke Daldrup in der Vorweihnachtswoche schon mal interessierte Freiwillige eingeladen, sich als Komparsen für die Probeläufe im Terminal registrieren zu lassen. Dessen Fertigstellung wolle er der zuständigen Baubehörde in Königs Wusterhausen im Herbst 2019 anzeigen.

Seit März 2017 steht der Ingenieur, zuvor Berliner Staatssekretär und Flughafenkoordinator, an der Spitze der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB). Die Mängelliste, die er damals von seinen zahlreichen Vorgängern übernahm, war extrem lang. Er hat sie Schritt für Schritt abgearbeitet und auf der fluchbeladenen Baustelle für Ruhe und Verlässlichkeit gesorgt. Und vor allem, seit die FBB mit dem Masterplan Kurs auf den langfristigen Ausbau bis 2040 genommen hat, geht es ja auch sichtbar voran.

Anfang Oktober wurde der Interimsbau des Regierungsterminals übergeben, auch das 70 000 Quadratmeter große Vorfeld mit den Parkflächen für die Flugzeuge ist bereit - ein kleiner Flughafen im großen. Wenn der Bund wollte, könnte er in wenigen Monaten in Schönefeld starten und landen. Doch die Regierung will auf Nummer sicher gehen, und so bleibt die Anlage wohl bis zur BER-Eröffnung ungenutzt. Der 30 Millionen Euro teure Zweckbau wird dann vom Bund für fünfeinhalb Jahre gemietet, bis der neue Regierungsflughafen auf dem heutigen Schönefelder Airportgelände 2025/2026 fertig ist.

Bis es soweit ist, erlebt der einstige DDR-Zentralflughafen unverhofft eine späte Blüte. Die Berliner Flughäfen, Tegel und Schönefeld, dürften das Jahr 2018 mit erneut rekordverdächtigen 35 Millionen Abfertigungen abschließen. Schönefeld allein zählt mit dann 13 Millionen Fluggästen zu den sechs größten Flughäfen Deutschlands. 1969 war man dort erstmals auf eine Million gekommen. Nach einer bescheidenen Modernisierung in den 1970ern stieg die Zahl bis zum Ende der DDR auf rund drei Millionen.

Da die Flughafengesellschaft den veralteten Flughafen nach der BER-Eröffnung zunächst weiter betreiben will, muss endlich mehr für die Fluggäste getan werden. Ab Januar 2019 wird dazu unter dem Stichwort »Betriebsoptimierung« das Pier 3a, ein Gebäudeteil des Terminals A, für insgesamt 6,5 Millionen Euro umgebaut. Eine deutliche Verbesserung der Abfertigungs-, Service- und Aufenthaltsqualität versprechen beispielsweise großzügige offene Warteräume und gastronomische Angebote. Um die Kapazität des Pier 3a während der Umbauphase zu kompensieren, wurde auf dem Vorfeld für 3,6 Millionen Euro eine temporäre Wartehalle errichtet, die seit 30. November 2018 in Betrieb ist. Sie ist vom Terminal A aus über eine Fluggastbrücke direkt zu erreichen. Von dort gelangen die Passagiere über fünf Abfluggates per Bus oder zu Fuß zum Flugzeug.

Auf dem BER-Gelände wird inzwischen schon an der Weiterentwicklung des Flughafens gearbeitet. Derzeit entsteht vor dem Pier Nord, einem Seitenflügel des Hauptterminals, das Zusatzterminal T2. Es gestattet die Abfertigung von jährlich sechs Millionen Passagieren und erhöht die Gesamtkapazität des BER mit der Eröffnung auf 28 Millionen Passagiere. Addiert man dazu Schönefeld (Alt), können dann am Standort gut 40 Millionen Fluggästen pro Jahr abgefertigt werden.

Mit dem Neubau hält ein neuer Pragmatismus am BER Einzug. Im September erklärte der Flughafenchef dazu: »Aus den Erfahrungen und Schwierigkeiten mit dem äußerst komplexen Fluggasterminal T1 haben wir gelernt.« Der Zusatzbau sei optisch ansprechend, aber stark funktional konzipiert, die Rede ist von schlichter Industriearchitektur. Dass die FBB die bitteren Lektionen der Frühphase des Vorhabens verstanden hat, zeigt sich darin, dass diesmal der Bauauftrag an einen Generalunternehmer vergeben wurde, die im Flughafenbau erfahrene Zechbau GmbH. Im Oktober gestartet, liege der Bau im Plan, so Lütke Daldrup. Also alles gut?

Am 11. Dezember musste Engelbert Lütke vor dem BER-Sonderausschuss des Brandenburger Landtags Rede und Antwort stehen. Zuvor hatte schon der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses die früheren Flughafenchefs angehört. Brandenburg, Berlin und der Bund sind Flughafengesellschafter. Es gab neuerliche Irritationen, für die Lütke Daldrup zum Teil selbst gesorgt hatte. Der TÜV Rheinland war bei Kontrollen im Hauptterminal, wie es hieß, auf Mängel bei der Entrauchungssteuerung, den Sprinkleranlagen, der Brandmeldeanlage, den elektroakustischen Notwarnsystemen und der Sicherheitsbeleuchtung gestoßen. Was am Ende nichts weniger als weiteren Zeitverzug bedeutet. Der Flughafenchef hatte daraufhin mit den Gesellschaftern ausgerechnet über eine mehr oder weniger strenge Auslegung von Bau- und Prüfvorschriften reden wollen. Ende November kam aber der FBB-Aufsichtsrat zu der Einschätzung: Zwar könne sich die Prüfung aller Anlagen weiter verzögern, dennoch bleibe es beim Eröffnungstermin.

Schon mit den Themen der aktuellen Mängelliste versetzte der Flughafenchef in Potsdam die Ausschussmitglieder fraktionsübergreifend in Rage. Die Aufarbeitung mache Fortschritte, doch seien die Brandmeldeanlage mit 30 000 Brandmeldern und vier Zentralen sowie die Verkabelung für den Notstrom und die Sicherheitsbeleuchtung noch immer kritisch, räumte Lütke Daldrup ein. Und das bei einem Großprojekt, das schon seit 2011 fertig sein sollte? Dafür, dass Kabel zur Befeuerung der Südbahn seit Jahren im Wasser liegen, weil 2012 ungeeignete Schächte angelegt wurden, fehlten selbst ihm die Worte. Denn erst jetzt wird dieses sicherheitsrelevante Problem beseitigt, indem vor der Neuverkabelung zunächst eine dem Lehmboden vor Ort angemessene Drainage verlegt wird. Anders als der TÜV glaubt Lütke Daldrup, die für die Bauabnahme entscheidende Wirkprinzipprüfung in zwei Schritten im Frühjahr und Sommer 2019 zu schaffen. Wenn nicht, wird es mit den Zeitreserven wirklich eng.

Zu den verblüffendsten Nachrichten des Jahres vom BER gehört, dass das Hauptterminal deutlich mehr Passagiere als die zuletzt errechneten 22 Millionen fasst. Das hätten jüngst neue Simulationen ergeben, so der Flughafenchef. Mal sehen, was sich da noch so simulieren lässt.