nd-aktuell.de / 05.01.2019 / Berlin / Seite 27

Dobry źeń, Frau Lehrerin!

Dem niedersorbischen Unterricht an Grundschulen fehlt die Rückendeckung. Von Andreas Fritsche

Andreas Fritsche

Die Lehrerin kann doch gar kein Sorbisch! Sie sagt nur immer: ›Dobry źeń.‹« Das ist Niedersorbisch und heißt: »Guten Tag.« Viel mehr von dieser in der Niederlausitz nur noch wenig verwendeten Sprache der slawischen Minderheit beherrscht die Lehrerin angeblich nicht. Dabei soll sie Niedersorbisch unterrichten.

Es ist eine drastische Äußerung eines Schülers, zitiert in einem umfänglichen Bericht der Universität Leipzig zum Sorbischunterricht an brandenburgischen Grundschulen. Sorabistik-Professor Eduard Werner war der Projektleiter der Untersuchung, die zu einigen deprimierenden Ergebnissen kommt. Im Gegensatz zum Obersorbischen, das in der sächsischen Oberlausitz in einigen Dörfern noch ziemlich lebendig ist, war das Niedersorbische Ende der 1990er Jahre beinahe schon ausgestorben. Doch dann zeigten die Bemühungen um eine Revitalisierung ermutigende Erfolge. In Witaj-Kitas (Witaj heißt Willkommen) sprechen und singen die Erzieherinnen mit den Kindern Niedersorbisch. Die Knirpse lernen die Sprache auf diese Weise spielerisch nebenbei und können dann im Idealfall perfekt sprechen.

Das Lesen und Schreiben kommt in der Grundschule dran. Aber da beginnen im Moment die Schwierigkeiten. An 22 Grundschulen in Brandenburg steht Niedersorbisch als freiwilliges Angebot auf dem Stundenplan. Doch die Mitarbeiter von Professor Werner trafen bei ihren Besuchen vor Ort nur eine einzige Lehrkraft an, die Niedersorbisch auf Muttersprachenniveau beherrschte, und noch zwei weitere, die immerhin fließend sprachen, wenngleich nicht völlig fehlerfrei. Mit anderen Kollegen sei eine echte Unterhaltung unmöglich gewesen, heißt es.

Dafür können sie nichts, aber es hat Folgen für die Kenntnisse der Schüler. Mittels Hospitationen und schriftlicher Tests, geschrieben in den Klassen vier bis sechs im Herbst 2015 und im Sommer 2017, sowie durch Befragungsbögen und Gespräche hat die Universität Leipzig den Sprachstand der Grundschüler erstmals systematisch erhoben, und sie konnte nun zugleich Einblicke in die Sprachkenntnisse der Lehrer und Eltern geben. Herausgekommen ist dabei auch, dass etwa 25 Prozent des Sorbischunterrichts ausfällt und dass die Sorbischlehrer als »verkappte Vertretungsreserve« für andere Fächer angesehen werden und teilweise zwischen verschiedenen Bildungsstätten pendeln müssen. Dabei ist der Aufwand für die Unterrichtsvorbereitung immens. Für eigentlich nötige Weiterbildung fehlt oft die Zeit. Das reibt furchtbar auf. Angesichts dessen wundert es nicht, dass die Fähigkeiten der Schüler zu wünschen übrig lassen, dass ihre Möglichkeiten, sich in Niedersorbisch auszudrücken, teilweise sogar hinter den in der Kita schon erreichten Stand zurückfallen.

Das deckt sich mit den Erfahrungen von Kathleen Komolka. Sie hat drei Töchter in der ersten, zweiten und sechsten Klasse. Als die beiden Jüngsten noch im Kindergarten waren, da wussten sie, was Geburtstag auf Niedersorbisch heißt. Jetzt müssen sie überlegen und zugeben, dass sie das vergessen haben, erzählt ihre Mutter. Die Große sei inzwischen am Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus. Dort laufe es wieder besser. Denn dort gibt es Pädagogen, die ganz ausgezeichnet Niedersorbisch sprechen. Dort ist Niedersorbisch als zweite Fremdsprache bis zur zwölften Klasse Pflichtfach, und es gibt außerdem noch Unterricht in zwei Fächern, der auf Niedersorbisch erteilt wird.

Aber das ist auch so ein Problem: Wer zu weit weg von Cottbus wohnt oder nicht die Leistungen für ein Gymnasium hat, bei dem ist nach der Grundschule Schluss mit dem Sorbischunterricht. Etliche Eltern melden ihre Kinder auch schon in den höheren Grundschulklassen vom Sorbischunterricht ab, wenn es Schwierigkeiten gibt. Die Kinder sollen sich dann lieber auf die anderen Fächer konzentrieren, um beispielsweise doch den Sprung ans Gymnasium zu schaffen. Manche Sorbischlehrer erzeugen deshalb absichtlich nicht so viel Leistungsdruck oder beurteilen sehr gutmütig, um Abmeldungen zu vermeiden. Der Sache dient das aber nur begrenzt.

Den Pädagogen will Komolka keinen Vorwurf machen. Im Gegenteil! Sie persönlich hat nur »super engagierte Lehrer« erlebt, die »mit Hingabe« bei der Sache sind. »Ich glaube an die Lehrer«, betont Komolka. »Aber wenn die Rückendeckung fehlt, dann sind das ganz, ganz schwierige Rahmenbedingungen.« Komolka versichert: »Wir Eltern vertrauen den Lehrern. Aber so, wie es ist, geht es nicht weiter. Vielleicht muss niedersorbische Schule neu gedacht werden.«

Vorbild könnte Irland sein, wo das althergebrachte Gälisch im täglichen Gebrauch gegenüber Englisch den Kürzeren zieht, aber gerade deswegen Pflichtfach in den Schulen ist. In diese Richtung gehen die Überlegungen der Wissenschaftler um Professor Werner. Zumindest ein paar Grußformeln sollte an den Schulen im niedersorbischen Siedlungsgebiet jeder Lehrer und jeder Schüler beherrschen, meinen sie. Eine ausreichende Vertretungsreserve sei notwendig, und wenn Lehrer die korrekte Aussprache von Vokabeln nicht wissen, könnte Audiolehrmaterial eingesetzt werden. Auch raten die Experten von einer Mindestschülerzahl für Sorbischstunden ab. Wenn deswegen verschiedene Jahrgänge zusammengelegt werden, sei dies nicht förderlich. Das ist ein Thema, das Eltern wie Kathleen Komolka am Herzen liegt.

Die Revitalisierung des Niedersorbischen werde nur gelingen, »wenn mehr Lehrkräfte im aktiven Unterricht sind und kleinere Lerngruppen gebildet werden«, schließt die Landtagsabgeordnete Kathrin Dannenberg (LINKE) aus dem Bericht. »Außerdem bedarf es eines durchdachten Konzepts zur gezielten sprachlichen Qualifikation von Lehrkräften.«

Was nun tatsächlich geschieht, ist noch offen. Nachdem Professor Werner die Ergebnisse im März 2018 vorlegte, wurde mit Sorben in einer Arbeitsgruppe des Bildungsministeriums diskutiert und mit den Grundschulen gesprochen. »In den kommenden Monaten« werden vom Bildungsministerium und vom Schulamt Cottbus »geeignete Maßnahmen erarbeitet«, erklärt Ralph Kotsch, Sprecher von Ministerin Britta Ernst (SPD).