nd-aktuell.de / 10.01.2019 / Berlin / Seite 11

Ohne Migranten kein Jobwunder

Fast jede zweite offene Stelle wurde 2017 in Berlin mit ausländischen Arbeitnehmern besetzt

Martin Kröger

Der Fachkräftemangel ist Realität. Viele Unternehmen finden immer schwieriger die Fachkräfte, die sie dringend benötigen. Das zeigen Angaben der Bundesagentur für Arbeit, auf die sich die Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg (UVB) bei ihrer Jahrespressekonferenz bezogen. So warten Unternehmen in Berlin beispielsweise im Durchschnitt 135 Tage darauf, einen Energietechniker aufzutreiben. Vor drei Jahren wurde die Suche noch in 96 Tagen absolviert. Auch Mechatroniker und Techniker für Sanitär-Heizung-Klima sind rar. Nahezu ein halbes Jahr suchen Firmen aus Brandenburg nach Fachkräften für den Hochbau und die Fahrzeugtechnik.

»Nach dem langen Aufschwung der vergangenen Jahre wird es immer schwieriger, passendes Personal zu finden«, sagt der Hauptgeschäftsführer der UVB, Christian Amsinck. Die Unternehmen müssen jetzt alle verfügbaren Potenziale heben, sonst könne es mit der Sonderkonjunktur in Berlin und Brandenburg rasch vorbei sein, warnte der Unternehmervertreter. Trotz des Fachkräftemangels rechnen die regionalen Unternehmerverbände weiter mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr von zwei Prozent. An die Politik appellierte Amsinck für eine »investorenfreundliche Politik« zu sorgen (siehe Kasten).

In der Verwaltung der Berliner Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (LINKE) sieht man das Problem als hausgemacht an. »Der Fachkräftemangel ist seit Langem bekannt«, sagt Karin Rietz, die Pressereferentin der Senatorin. »Es bleibt die Frage: Was machen die Unternehmen um Fachkräfte zu gewinnen, zu fördern und zu halten?«

Eine Antwort darauf dürfte sein, dass die Firmen immer mehr Arbeitnehmer unter anderem aus Süd- und Osteuropa einstellen. Nach Angaben der Unternehmerverbände wurde im Jahr 2017 nahezu jede zweite offene Stelle in Berlin mit einem »Ausländer« oder einer »Ausländerin« besetzt. Wobei damit alle Menschen gemeint sind, die keinen deutschen Pass haben, wie es auf Nachfrage heißt.

Die hohe Zahl ist bemerkenswert. »Ohne qualifizierte ausländische Arbeitnehmer würde es diese Wachstumsstory nicht geben«, betonte Amsinck nicht nur mit Blick auf Berlin, sondern auch auf Brandenburg. Das heißt: Das regionale Jobwunder von 500.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, die nach Angaben der Unternehmerverbände in den vergangenen zehn Jahren in Berlin und Brandenburg neu entstanden sind, wäre ohne Migranten undenkbar. Das gilt in zunehmenden Maße auch für Brandenburg, wo Fachkräfte ebenfalls immer stärker nachgefragt werden. In der Mark wurde 2017 bereits eine Mehrheit der rund 15.000 offenen Stellen mit Menschen mit ausländischem Pass besetzt. Das Jobwunder könnte sich in diesem Jahr fortsetzen, da nach Einschätzungen des UVB erneut 60.000 Stellen in der Region geschaffen werden könnten. Inzwischen arbeiten auch 19.000 Geflüchtete in der Region. Dass viele der neuen Arbeitsplätze in prekären Arbeitsverhältnissen und dem Niedriglohnsektor angesiedelt sind, kommentiert der Unternehmerverband allerdings nicht.

Stattdessen wird vor den Folgen eines höheren Vergabemindestlohns in Berlin und des demografischen Wandels gewarnt, weshalb die Unternehmer ein Fachkräfte-Einwanderungsgesetz fordern. Darüber hinaus wird auf die Gefahren der globalen Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China sowie des bevorstehenden Brexits verwiesen, die sich auch regional auswirken könnten. Auch eine Abkehr von Hartz-IV wird von ihnen durchweg abgelehnt. »Die Zahlen belegen, dass das System wirkt«, behauptet Amsinck.

Mit Blick auf die Landtagswahlen im Bundesland Brandenburg in diesem Jahr, bei der auch die Rechtspopulisten in Umfragen stark gesehen werden, sieht der brandenburgische Unternehmerverband dem Wahlkampf offenbar mit Sorge entgegen. »Wir sind zunehmend darauf angewiesen, uns als weltoffener Standort darzustellen«, sagt UVB-Hauptgeschäftsführer Amsinck.