nd-aktuell.de / 18.01.2019 / Kultur / Seite 15

Ich aß deinen Leberkäsweck

Deutschland, du und ich: Der Rapper Yassin legt sein erstes Solowerk vor

Thomas Blum

Eine vergessene Minderheit in Deutschland: schlaue Rapper. Zu ihnen gehört auch das einst undergroundige und erst in den letzten Jahren mit einigem Charts-Erfolg gesegnete HipHop-Duo Audio 88 & Yassin, das - im Gegensatz zu nicht wenigen ihrer deutschen Rapperkollegen - auch schon mal länger als anderthalb Minuten über etwas nachgedacht hat und bei dem man Humor nicht mit Stammtischwitzen verwechselt.

Yassin ist 1985 in Hessen geboren und aufgewachsen. Nun erscheint sein erstes Soloalbum. Zuweilen nervt auf diesem die exzessive Verwendung des Autotune-Effekts. Aber jetzt dürfte es zu spät sein, um daran noch etwas zu ändern. Gleich zu Beginn, in dem Track »Abendland«, wird die rechtsextremistische Bedrohung skizziert, die mittlerweile nicht mehr nur auf der Straße ihr Unwesen treibt, sondern sich bis in die Parlamente ausgedehnt hat: »Hass, der keine Gründe braucht, sucht sich den schwächsten Feind / Bis selbst die dünnste Haut wie eine Rüstung scheint / Doch was nützen die schönsten Metaphern / Wenn’s die Dümmsten nicht raffen / Es wird dunkel im Abendland.« Die Erfahrung, dass dem fortwährend in beschönigender Absicht so genannten modernen, weltoffenen Deutschland der Blut-und-Boden-Gedanke noch immer nicht zur Gänze ausgetrieben wurde, müssen hierzulande täglich viele machen. Und selbst der fortgesetzte oder lebenslange Nachweis ihrer »Integrationsbereitschaft« verhindert nicht ihren Ausschluss. Als undeutsche Elemente aussortiert werden wohl auch künftig zuverlässig all jene, die aufgrund Haar-, Haut- oder Augenfarbe von Berufsdeutschen zielsicher als »Ausländer« identifiziert werden, da ist nichts zu machen: »Deutschland, Deutschland, ich bin überall zuhause / Sprech’ deine Sprache frei von Dialekt / ich aß deinen Grünkohl mit Pinkel, dein Kassler, die Sülze, dein’ Leberkäsweck / Deutschland / Und jetzt kommst du mir so / Tust so, als kenn’ wir uns nicht / Benimmst dich wie ’n Arschloch / Dicker, was ist mit dir los?«

Doch geht es auf dem Album logischerweise nicht allein um die latente oder offen zur Schau getragene rassistische Dauerstimmung im Land. Wenn Yassin beispielsweise in dem nach seinem Geburtsjahr benannten Stück »1985« die eigene Biografie zum Thema macht, sein Aufwachsen und seinen exemplarischen Alltag als sich dem Gruppendruck verschließender Jugendlicher, dessen männliche Peergroup sich den alten stumpfsinnigen Teenie-Ritualen (Saufen, maskulines Dominanzgehabe, ausgestellte Härte) hingibt, während er selbst seine Neigung zur Musik auslebt (»Sie haben damals schon gelacht, juckte mich damals schon nicht«), kann man dies auch als Denk- und Lebenshilfe für seine meist jugendlichen Hörer verstehen: Lerne, selbst zu denken; ergreif die Chance, die die Kunst dir bietet; werde kein Kollektivdepp, kein gesellschaftlicher Mitläufer, kein Idiot. Und derlei Ratschläge, wenn auch nur implizit erteilt, sind schon sehr viel wert in einem Musikgenre, das gegenwärtig von nicht gerade wenigen Hohlbirnen bevölkert wird, die immer wieder durch ihr erzreaktionäres und unterkomplexes Weltbild und peinliche »maskuline Machtergreifungsgesten« (Jens Balzer) auffallen.

Yassin: »Ypsilon« (Normale Musik/ Groove Attack)