Wären Spielfilme stets wahrhaftig und Fernsehserien real, man könnte sich den Feierabend von Nicholas Ofczarek ungefähr wie folgt vorstellen: Heim in die einsame Etagenwohnung, Kühlfach auf, Wodka raus und nach drei, vier Kurzen weiter zur Stammkneipe, wo der Absturz allein oder mit Nutten vollendet wird. So macht er es gefühlt andauernd, wenn er lumpige Discobetreiber, windige Erben, korrupte Cops, zynische Rächer verkörpert. So macht er es auch als seelisch ruinierter Salzburger Inspektor Winter im Achtteiler »Der Pass«.
Dem Wiener Burgschauspieler steht in dieser Mini-Serie Julia Jentsch als Kommissarin Stocker zur Seite, die beide im verschneiten Grenzgebiet zu Deutschland einen Serienkiller jagen. »Der Oberkörper liegt in Österreich, die Beine in Deutschland«, konstatiert die sonnige Bayerin nüchtern am Fundort. »Passt scho«, antwortet ihr verkaterter Kollege im exaltierten Pelzmantel, »ana kriagt’n Kopf, ana kriagt’n Oasch«.
Damit ist das Terrain eines TV-Falls bereitet, in dem es nur oberflächlich um Ritualmorde an Übeltätern geht, die aus Sicht ihres mysteriösen Henkers zu Recht hingerichtet wurden. Angesichts der Tatsache, dass die Unzahl zeremonieller Kapitalverbrechen am Bildschirm aber auch gar nichts mit der Kriminalstatistik zu tun haben, könnte man an der Stelle genervt von solch dramaturgischem Blödsinn abschalten. Was die unzertrennlichen Regisseure Philipp Stennert und Cyril Boss aber nach eigenem Drehbuch aus dieser stereotypen Ausgangslage machen, ist furiose, bisweilen pathetische, aber gerade deshalb eindrückliche Fernsehunterhaltung, die das deutschsprachige Serienniveau abermals ein, zwei Stufen anhebt.
Das neue Produzenten-Traumpaar Wiedemann und Berg schafft es nämlich spielend, die Kernkompetenzen ihrer einflussreichsten Werke zu bündeln: Vom Netflix-Erfolg »Dark« adaptiert »Der Pass« die exzellent fotografierte Naturatmosphäre, vom TNT-Triumpf »4 Blocks« die präzise Figurenzeichnung, vom Weimarer »Tatort« den Humor im Desaster. Da ist es kein Wunder, dass die Vorlage auf ihre Hauptdarsteller zugeschrieben war, lange bevor sie auch nur angefragt wurden. Als Odd-Couple einer binationalen Grenzermittlung holen die zwei Ausnahmeschauspieler alles aus ihren Charakteren heraus: Ofczarek als narzisstisches Wrack im Griff seiner Dämonen, Jentsch als tugendhafte Frohnatur auf der Suche nach Gerechtigkeit.
Die Verlorenheit der Zivilisation in dem, was bewusst als Schöpfung gezeigt wird, kann sich ein denaturierter Misanthrop wie Winter allenfalls erträglich saufen. »Moch’n sichtbar«, fordert Gedeon Winter den Wirt seiner Kaschemme zum Nachschenken auf. Im Kontrast zur Wucht des Waldes werden Worte wie diese zu Gedichten.
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Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1110736.im-griff-der-daemonen.html