nd-aktuell.de / 26.01.2019 / nd-Commune / Seite 44

Emil und die Brandstifter

Ein distinguierter Herr aus Dresden

Mario Pschera

Vor 120 Jahren wurde in Dresden ein Mensch geboren, dessen vielfältiges Schaffen irgendwann hinter dem Erfolg seiner Kinderbücher zu verblassen schien: Erich Kästner, Dichter, Reporter, Kritiker, Kabarettist und Romancier. Mit siebzehn wurde er als Soldat eingezogen, die Erlebnisse in der Kaserne und an der Front machten ihn zum Pazifisten. 1919 begann er in Leipzig ein Studium und verdiente seinen Lebensunterhalt als Journalist und Theaterkritiker für die »Neue Leipziger Zeitung«. Weil seine Texte an Schärfe gewannen und wegen eines »frivolen« Gedichts wurde er 1927 gekündigt. Im gleichen Jahr zog er nach Berlin und schrieb unter Pseudonym für die »NLZ« als Kulturkorrespondent.

Seit 1926 verfasste er Beiträge für eine Kinderbeilage - ebenfalls unter Pseudonym. Sein erstes Kindertheaterstück »Klaus im Schrank« wurde von den Verlagen als zu modern abgelehnt (und erst 2013 in Dresden uraufgeführt). In Berlin stieg er schnell zu einem Star des intellektuellen Lebens auf, schrieb als freier Autor u. a. für das »Berliner Tageblatt« und »Die Weltbühne«. 1928 erschien sein erster Gedichtband.

Der kommerzielle Durchbruch gelang ihm mit »Emil und die Detektive«, das allein schon durch seinen Handlungsort Großstadt aus der üblichen Heile-Welt-Kinderliteratur herausstach. Dass der international renommierte Zeichner und Illustrator Walter Trier die Bilder beisteuerte, verstärkte die Wirkung des Buches und auch der nachfolgenden gemeinsamen Kinderbücher. 1931 veröffentlichte Kästner mit »Fabian - Die Geschichte eines Moralisten« einen Roman über den Niedergang der Weimarer Republik. Der Verlag indes fürchtete Ärger und »entschärfte« den Text, der erst 2013 in der rekonstruierten Originalfassung unter dem Titel »Der Gang vor die Hunde« erschien.

Kästner war als Nazigegner bekannt. 1933 musste er der Verbrennung seiner Bücher zusehen, er wurde mehrfach von der Gestapo vorgeladen; sein Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer - Voraussetzung für Publikationen - wurde mit Verweis auf seine »kulturbolschewistische Haltung« abgelehnt. Ein befreundeter Verleger übernahm die Rechte an seinen Büchern und gründete in der Schweiz den Atrium-Verlag, der bis heute Kästners Werke herausgibt. Kästner selbst blieb in Deutschland, auch wegen der starken Bindung zu seiner Mutter. Unter Pseudonym belieferte er die NS-Unterhaltungsindustrie mit Theatertexten und Drehbüchern, u. a. zu dem prestigeträchtigen UFA-Film »Münchhausen«. Währenddessen notierte er die Geschehnisse im Dritten Reich, aus denen er nach dem Zusammenbruch einen Roman machen wollte. Davon nahm er Abstand, als er das Ausmaß der Verbrechen erkannte. Dennoch engagierte er sich literarisch gegen das gewollte Vergessen in Deutschland: »Wir müssen der Vergangenheit ins Gesicht sehen. Es ist ein Medusenhaupt, und wir sind ein vergessliches Volk. Kunst? Medusen schminkt man nicht.« Statt des Romans veröffentlichte er »Das Blaue Buch«, seine Notizen, als in der Bundesrepublik 1960 die Verjährung der NS-Verbrechen drohte.

1965 verbrennt eine Jugendgruppe des »Bundes Entschiedener Christen« mit Genehmigung des Ordnungsamtes Bücher von Kästner, Günter Grass, Vladimir Nabokov, Albert Camus und anderen. - »Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten«, so Kästner in »Über das Verbrennen von Büchern«.