nd-aktuell.de / 16.06.2007 / Reise

Dieser Gingko inspirierte Goethe

Methusalem im Frankfurter Brentanopark soll rund 250 Jahre alt sein

Andreas Müller
Wie ein Kunstwerk präsentiert sich dieser Baum am Rande des Brentanoparks in Frankfurt-Rödelheim dem Betrachter. Aus dem drei Meter dicken Stamm wachsen in Mannshöhe die drei imponierenden Hauptäste teils steil und schräg nach oben und teils waagerecht zur Seite und sorgen für ein kolossal ausladendes Blätterdach. Durchschnittlich 20 Meter misst die Krone des Fächerblatt- oder Elefantenohr-Baumes oder der Silberaprikose, wie der Ginkgo ebenfalls genannt wird. Das rund 250 Jahre alte Exemplar hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts schon Johann Wolfgang von Goethes inspiriert. Sein Gedicht »Ginkgo biloba« vom September 1815 hat sehr wahrscheinlich hier seinen Ausgangspunkt. Schon 1814 stand der Dichterfürst einmal vor dem Baum. Am 15. September des folgenden Jahres hatte Goethe gemeinsam mit dem Frankfurter Bankier Georg Brentano zu Mittag gegessen. »Wo genau das war, wissen wir leider nicht«, sagt die 65-jährige Sylvia Rumscheidt vom Rödelheimer Förderverein Petrihaus, dessen Mitglieder sich liebevoll um den Ginkgo kümmern. Vermutet wird, dass die Mahlzeit auf dem Anwesen der Brentanos in Rödelheim eingenommen wurde und die beiden honorigen Herren anschließend einen kleinen Verdauungsspaziergang zum nahen Gingko unternahmen. So wäre zu erklären, dass später am selben Tag Goethe seiner Frankfurter Muse Marianne Willemer einen Brief überreichen ließ, der neben einem aufgeklebten Ginkgo-Blatt die Verse dazu enthielt. »Das alles ist bestimmt kein Zufall gewesen. Da gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen dieses Tages«, ist die frühere Buchhändlerin und Galeristin Sylvia Rumscheidt überzeugt: Es kann nur der Rödelheimer Baum gewesen sein, der beim damals 66-Jährigen spontan lyrische Eingebungen hervorrief und Goethe im zweigeteilten, fächerartigen Ginkgo-Blatt fortan das Sinnbild für Freundschaft und Liebe erblicken ließ. In Deutschland gibt es rund 30 Ginkgos, die einhundert Jahre alt sind. Mitunter wird kolportiert, der Baum an der Berliner Humboldt-Universität oder in Harbke in Sachen-Anhalt wären die ältesten. Seit am 9. Oktober 2003 vom »Kuratorium liebenswerte alte Bäume in Deutschland« in Rödelheim eine genaue Altersuntersuchung vornahm, gibt es keine Zweifel mehr. Einzig Frankfurt darf den Superlativ für sich reklamieren. »Es wurde eine 1,5 Millimeter dicke Bohrung vorgenommen, um die Jahresringe zu zählen. Sie lagen teilweise so dicht beieinander, dass eine ganz exakte Altersbestimmung nicht möglich war. Mit Sicherheit ist der Baum zwischen 240 und 260 Jahre alt«, berichtet Rita Tettenborn vom Kuratorium. Der Methusalem erfreut sich bester Gesundheit. Zu verdanken ist dies auch einer Wurzelbehandlung vor vier Jahren. Mit einem Presslufthammer wurde seinerzeit Luft in das Erdreich gedrückt. Die künstliche Beatmung bewirkte, dass sich Pilze an den Wurzeln festsetzen, die eine bessere Nährstoffversorgung des Baumes gewährleisten. Im Herbst sollen die nahegelegenen asphaltierten Wege über den ausladenden unterirdischen Wurzeln durch Pflastersteine ersetzt werden. Die Oberfläche ringsum wird dann für den Ginkgo deutlich durchlässiger und atmungsaktiver. Beste Voraussetzungen, damit der Baum das maximale Ginkgo-Alter von 1000 Jahren erreichen und noch viele Generationen erfreuen kann.