Umstrittene Erinnerung

Polen von der antisemitischen NSZ - wie geht die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück damit um?

Angeblich sollten hier antipolnische Ressentiments geschürt werden. Doch Fritz Burschel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung weist das strikt zurück. Dafür sei hier ganz bestimmt kein Raum. Der Raum, das ist der Salon der Stiftung am Berliner Franz-Mehring-Platz. Gemeinsam mit der Initiative Gedenkort Mädchen-KZ Uckermark hat Burschel eine Diskussion organisiert. Das Thema lautet: »Umkämpfte Erinnerung - Antifaschistisches Gedenken in Zeiten der Neuen Rechten am Beispiel von Ravensbrück.« Respektvoll und »in aller Offenheit« soll darüber gesprochen werden, wünscht sich Burschel. Aber das ist nicht so einfach.

Anliegen der von Frauen, Lesben und Transgender getragenen Initiative ist das Erinnern an das Jugendschutzlager Uckermark, das ein Stück östlich der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück liegt und mit dem Konzentrationslager allenfalls indirekt etwas zu tun hat. In das Jugendschutzlager sperrten die Faschisten weibliche Jugendliche, die sich nicht folgsam fügten, denen ein liederlicher Lebenswandel oder Arbeitsbummelei angekreidet wurde. Verantwortlich war nicht die SS, sondern die Kriminalpolizei. Es gibt aber einen Berührungspunkt zum benachbarten KZ. Als die Vernichtungslager im Osten geräumt wurden und Ravensbrück wegen der eintreffenden Transporte übervoll war, diente das Jugendlager als Sterbelager, in dem Häftlinge gezielt ermordet wurden.

Die Initiative ist mit dabei, wenn alljährlich im April an den Jahrestag der Befreiung von Ravensbrück erinnert wird. Doch hier bekamen die Frauen, Lesben und Transgender zuletzt Schwierigkeiten mit einigen jungen Polen, massiv im vergangenen Jahr. Polen, mit durchgestrichenem Hammer und Sichel als Motiv auf der Brust, hätten sie abfällig fixiert und seien ihr nachgelaufen. Sie habe sich bedroht gefühlt, erzählt eine junge Frau.

Auch anderen stößt die neue Situation sauer auf, etwa Klaus Lemnitz von der Lagergemeinschaft Ravensbrück. Seine Mutter saß als Kommunistin in diesem KZ. Er verspürt eine innige Bindung zu vielen polnischen Menschen, versichert er. Doch 2018 haben in Ravensbrück am Bücherstand der Lagergemeinschaft junge Polen gepöbelt, erzählt Lemnitz. Warum? »Nicht weil wir Deutsche sind, weil wir Linke sind!« Für Verbitterung sorgten rot-weiße Armbinden mit der Aufschrift »NSZ«. Das steht für Narodowe Siły Zbrojne, zu deutsch: Nationale Streitkräfte. Was sich dahinter verbirgt, kann Steffen Hänschen vom Bildungswerk »Stanisław Hantz« erklären. Die NSZ sei ein 1943 gebildeter Zusammenschluss von Partisanenverbänden, die sich nicht der polnischen Heimatarmee unterordnen wollten, die wiederum unter dem Einfluss der Exilregierung in London stand. Die NSZ kämpften zwar auch gegen die Deutschen, mindestens genauso erbittert jedoch gegen die Sowjetunion - und dies dann noch bis Mitte der 1950er Jahre als Partisanen in den Bergen in Ostpolen und in den Wäldern Weißrusslands. Die NSZ waren ein Sammelbecken von Antikommunisten und Antisemiten. Es gibt Hinweise, dass sie sich am Pogrom von Kielce beteiligten. Im Juli 1946 wurden dort mehr als 40 Juden ermordet und außerdem polnische Nachbarn, die ihnen zu Hilfe eilten.

Beim Warschauer Aufstand 1944 kämpften die Nationalen Streitkräfte zwar gegen die Deutschen, schossen dabei aber auch hinterrücks auf Juden in den Reihen der polnischen Heimatarmee. Beim Zurückweichen vor den sowjetischen Truppen nach Tschechien machten einige NSZ-Verbände zeitweise sogar gemeinsame Sache mit Wehrmacht und

Waffen-SS. Erst in letzter Minute wechselten sie dort auf die Seite der US-Amerikaner und befreiten ein Außenlager von Ravensbrück. In Ravensbrück selbst sind aber drei Frauen der NSZ als Häftlinge gewesen.

Die Gedenkstätte habe ein Problem mit den NSZ, bestätigt Leiterin Insa Eschebach. Wie sie beim Jahrestag der Befreiung am 14. April damit umgehe, sei noch eine offene Frage. Dass beim jüdischen Totengebet, dem Kaddish, gestört werde, »geht gar nicht«, sagt Eschebach. Das Erinnern an die drei Frauen von den Nationalen Streitkräften könne man den Angehörigen jedoch nicht verbieten.

Dies sieht Klaus Lemnitz von der Lagergemeinschaft genauso. Doch die Armbinden und das militärische Gehabe möchte er nicht wieder sehen.

Umkämpfte Erinnerung, das trifft es. Nachdem lange Referate gehalten sind, meldet sich als erster Pole Pawel łWozniak zu Wort. Doch für ihn soll nun - wie ab jetzt für alle - die Redezeit auf anderthalb Minuten begrenzt sein. Als er deswegen abgewürgt wird, ärgert ihn das zusätzlich. In Rage ist er sowieso schon. »Drei Frauen von den NSZ waren in Ravensbrück. Dann haben die das Recht, dort teilzunehmen, ob Euch das gefällt oder nicht«, schimpft Wozniak. Nur zwei Männer mit NSZ-Armbinde habe er beim Gedenken gesehen, aber 500 Polen gezählt. Doch darüber acht Monate lang kein gutes Wort - immer nur habe es geheißen: »zu viele Polen, zu viele Fahnen«.

Erneut wird betont, dass niemand hier gegen Polen sei, sondern nur gegen Rechte. Die Nachfahren der Täter müssten schließlich vorsichtig sein mit Kritik an den Nachfahren der Opfer, sagt eine Frau von der Initiative Mädchen-KZ mit Blick auf das, was Hitlerdeutschland den Polen antat.

Doch Bärbel Schindler-Saefkow, Tochter des Widerstandskämpfers Anton Saefkow, empfindet es ähnlich wie Wozniak. Die Polen würden als Nationalisten, Profaschisten und Antisemiten hingestellt. »Nichts davon ist wahr«, beschwert sie sich. Wozniak geht zu Schindler-Saefkow, sagt »Danke« und umarmt sie.

Nachdem von polnischen Hooligans die Rede ist, die sich in Ravensbrück daneben benommen haben sollen, springt ein junger Mann auf und sagt halb belustigt, halb empört, er sei einer davon, wie man ja sehen könne. Das meint er ironisch. Er ist kein bulliger, kein tätowierter Typ. Seine Schützlinge vom FC Polonia Berlin seien 8 bis 16 Jahre alt und wollten in Ravensbrück an alle Opfer erinnern, egal ob Schwarz oder Weiß, versichert er. Seinen Namen will er nicht preisgeben, verrät nur, dass er im Vorstand des Fußballvereins sitzt. Aufgeregt zeigt er Fotos der Jugendmannschaften, tippt auf einen schwarzen Jugendlichen in einem der Teams und bemerkt sarkastisch: »Das ist natürlich ein Neonazi, klar!«

Dariusz Pawłoś, Presseattaché der polnischen Botschaft, verteidigt den Fußballclub. Das seien anständige Leute. Er erwähnt, dass in seiner Heimat Gruppen populär seien, die in ihrer Freizeit historische Ereignisse nachspielen. Es gebe sogar Polen, die sich als Wehrmachtssoldaten oder

SS-Männer verkleiden. Aber auch mit denen könne man sich unterhalten.

»Nein danke«, ruft jemand bedient. Ein anderer sagt: »Wir reden hier mit rechten Polen.« Er kenne aber viele linke Polen und die wären auch dagegen, dass die NSZ in Ravensbrück aufmarschieren.

»Seit dem Abschied der Zeitzeugen wird es kompliziert«, bedauert Gedenkstättenleiterin Eschebach. Die Überlebenden hatten unterschiedliche politische Ansichten, zum Beispiel unter den Französinnen die Kommunistinnen und die Anhängerinnen von General Charles des Gaulle. Doch geeint habe sie das gemeinsam im KZ Erlittene und es sei nie ein böses Wort zwischen ihnen gefallen. »In diesem Sinne kann ich nur appellieren, die Gedenkveranstaltung am 14. April aus Respekt vor den Opfern nicht für tagesaktuelle Zwecke zu missbrauchen«, sagt Eschebach. »Darüber bestand auch Konsens bei einem Runden Tisch mit allen Beteiligten, der Ende Februar in der Gedenkstätte Ravensbrück stattgefunden hat.«

Es bleiben vor dem 14. April mehr Fragen als Antworten. Doch Referent Steffen Hänschen findet ein versöhnliches Schlusswort, dass die verschiedenen Gruppen sich nicht ablehnend gegenüberstehen sollten und dass Antifaschismus wichtig sei. Da klatscht der Saal. Nur der Trainer vom FC Polonia nicht.

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