nd-aktuell.de / 16.03.2019 / Politik / Seite 13

Populistisch sind immer die anderen

Der Populismusvorwurf dient heute meist der Abwertung des Gegners.

Guido Speckmann

Die Konrad-Adenauer-Stiftung, Thinktank der CDU, bewertete 2017 den Populismus als »weltweites Stabilitätsrisiko Nr. 1«. Die Ergebnisse der Wahlen zum Europaparlament im Mai könnten dieser Ansicht zufolge eine weitere Gefahr für den Status quo werden. Denn insbesondere die rechtspopulistischen Kräfte könnten an Stimmen hinzugewinnen. Aber auch die linkspopulistische La France Insoumise von Jean-Luc Mélenchon kann auf erkleckliche Prozentanteile hoffen.

Für Konservative und Liberale ist klar: Der Populismus ist etwas schlechtes - egal, ob von Rechts oder Links. Das Adjektiv »populistisch« wird von ihnen und im täglichen Sprachgebrauch abwertend verwendet. Im schlimmsten Fall setzen sie es mit »demagogisch« gleich, im besseren mit »unrealistisch«. Für das bürgerliche Lager hierzulande hat die Verwendung des Populismus-Begriffes eine ähnliche Funktion wie die Totalitarismus- oder Extremismusdoktrin: Sie dient der Abwertung der politischen Gegner durch die faktische Gleichsetzung von Links und Rechts. Motto: Populistisch sind immer die anderen. Als Rechts- oder Linkspopulist bezeichnet sich - zumindest in Deutschland - derzeit denn auch kaum eine politische Kraft.

In anderen Ländern ist das anders. Dort ist der Populismus-Begriff positiv und oftmals links besetzt. In den Vereinigten Staaten gibt es eine Tradition des auf Selbsttätigkeit der Bürger setzenden Populismus. Die People’s Party des ausgehenden 19. Jahrhunderts, auch Populist Party genannt, ist ein Beispiel. Und in Lateinamerika existieren bis heute linke Varianten eines Populismus, wenngleich oft mit paternalistischen Zügen, die wertneutral als solche bezeichnet werden. Kein Wunder, dass es der in Argentinien geborene postmarxistische Theoretiker Ernesto Laclau (1935-2014) war, der zusammen mit seiner Frau Chantal Mouffe der akademischen Populismus-Debatte in Europa Flügel verlieh. Sie nahmen beispielsweise Einfluss auf die aus der Bewegung der Empörten hervorgegangene spanische Linkspartei Podemos. Mouffe zufolge ist der Resonanzboden für den Populismus der folgende: Die nominell sozialistischen oder sozialdemokratischen Parteien Europas haben durch die Kapitulation vor der neoliberalen Hegemonie den Weg für die populistischen Kräfte bereitet. Denn die Wahl zwischen Mitte-rechts- und Mitte-links-Parteien sei wie die zwischen Coke und Pepsi: Beides ist Cola - oder eben neoliberale Politik.

Jan-Werner Müller, Autor eines viel diskutierten Buches zum Thema, definiert den Populismus wie folgt: Ein moralisch reines und homogenes Volk werde einer unmoralischen und korrupten Elite gegenübergestellt. Den Populisten erkenne man daran, dass er beanspruche, den Willen des »wahren Volkes« zu vertreten. Unabhängig davon, ob dieser Wille oder dieses Volk empirisch existiere. Rechtspopulistisch lässt sich das leicht ausbuchstabieren. Die Politikerkaste und die Systempresse verraten das Volk, heißt es bei ihnen. Zugleich wird über den Ausschluss von Migranten die vermeintliche Einheit des Volkes konstruiert. Aber Mouffe führt diese Definition gewissermaßen von Links aus: Die Einheit des »progressiven Volkes« wird durch die Festlegung eines Gegners hergestellt. Das sind »die politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus«. Diese Feindmarkierung ist begrüßenswert. Problematisch indes ist, dass an die Stelle des sozialstrukturellen Gegensatzes von Kapital und Arbeit, der der kapitalistischen Produktionsweisen eigen ist, ein schlichter Gegensatz von »denen da oben« und »dem Volk« tritt. Mouffes Plädoyer für einen linken Populismus ist somit mit Vorsicht zu genießen.

Ironischerweise stammt übrigens eine brauchbare Definition von Linkspopulismus aus dem Umfeld der Adenauer-Stiftung. Dem konservativen Politologen Florian Hartleb zufolge versuche dieser, »im Antagonismus zum Establishment die fortschrittlichen, egalitären, solidarischen und aufbegehrenden Sedimente des Alltagsverstands der Massen zu reaktivieren«. Vielleicht wäre es einen Versuch wert, die Linkspopulismus-Debatte damit neu zu beginnen - jetzt nach dem Rückzug einer Linken-Politikerin, der dieses Etikett stets angeheftet wurde.