nd-aktuell.de / 20.03.2019 / Kultur / Seite 48

Restaurantrevolte

Eine Kulturgeschichte der französischen Küche

Stefan Malta

Das Image der französischen Küche ist legendär. In dem Land fliegen die gebratenen Gänse »herum, mit den Sauceschüsselchen im Schnabel, und fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie verzehrt« - behauptete schon Heinrich Heine in vorveganen Zeiten, 1826 in seinen »Reisebildern«. Wie konnte es dazu kommen?

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Peter Peter: Vive la cuisine! Kulturgeschichte der französischen Küche.[1]
C. H. Beck, 237 S., geb., 22 €.

Im Grand Siècle, der Zeit des französischen Barock, katapultiert sich Frankreich an die Spitze der europäischen Küche. Es war eine »Gemeinschaftsleistung von Königin und Köchen, von reflektierenden Kochbuchautoren, experimentierenden Gärtnern, kulinarisch dilettierenden Adligen«, schreibt Peter Peter in »Vive la cuisine!«, seiner sehr lesenswerten »Kulturgeschichte der französischen Küche«. Im Absolutismus richtete sich der Delikatessenhandel sämtlicher französischer Provinzen nach Versailles (und damit Paris) aus. Es ging nun um »Saucenkunst und Eigengeschmacksbetonung statt Überwürzung« und um eine raffinierte Speisenfolge. Gegessen werden zum Beispiel klein geschnittene Spargel in Erbsenform oder ein Ragout vom Kalbsbries.

Beeinflusst wurde diese Entwicklung von der auf Frischgemüse setzenden italienischen Renaissanceküche, die Caterina de’ Medici nach Frankreich gebracht haben soll, bevor sie dann als Königin von Frankreich die Ermordung der Hugenotten befahl. Die kulinarischen Entwicklungen gingen an den unteren Schichten vorbei, die an Mangelernährung litten und weitgehend von Kastanien, Getreidebrei und Käse lebten. Das änderte sich erst mit der französischen Revolution, die in den neu entstandenen Restaurants und Bistros das höfische Speiseritual abschaffte - und durch die Erfindung des Mittagessens. Denn die Mitglieder des Parlaments hatten schon zur Sitzungspause um 13 Uhr Hunger und keine Zeit für eine Hauptmahlzeit am frühen Nachmittag, wie es am Hof üblich gewesen war.

Und dann kam der Koch Auguste Escoffier (1846-1935) und machte »die traditionelle Küche für das Zeitalter der Industrialisierung fit«, indem er mit der »Küchenbrigade« die Speisenproduktion im Restaurant derart rationalisierte, dass dort immer schneller immer mehr Menschen verköstigt werden konnten. Eine weitere Vereinfachung - weg von den Saucen, Marinaden und den Beilagenvorschriften - kam durch die Nouvelle Cuisine, die auf den gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 reagierte. Dieser Wandel wurde unterstützt durch den neuen Restaurantführer der Journalisten Henri Gault und Christian Millau, der im Vergleich zum behäbig-autoritären Michelin-Führer auf mehr Emotionalität setzte. Auf die Fantasie frei herumfliegender gebratener Gänse beispielsweise.

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