Als die Männer plötzlich putzen gingen

Dagmar Enkelmann und Dirk Külow haben eine Hommage an die emanzipierten Frauen aus der DDR verfasst

  • Gregor Gysi
  • Lesedauer: 4 Min.

Hier sprechen Frauen über sich und ihr Leben in der DDR. Keineswegs sind die Beiträge nur biografisch. Sie nehmen diverse Perspektiven ein, geben Einblicke etwa in die Rechtspraxis des ostdeutschen Staates, reflektieren Geschichte, Ansprüche und deren reale Einlösung, verweisen auf Grenzen der Emanzipation und ziehen natürlich auch immer wieder Ost-West-Vergleiche.

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Dagmar Enkelmann/ Dirk Külow: Emanzipiert und stark. Frauen aus der DDR.
Neues Leben, 256 S., geb., 19,99 €.

Häufig, zu häufig, wird die DDR aus der Perspektive thematisiert, dass dort ein Gesellschaftssystem gescheitert und viel mehr eigentlich nicht zu sagen sei. Und falls doch, dann übernehmen diejenigen, für die die DDR nur aus einer Staatspartei, einem Repressionsapparat, einer fast undurchlässigen »Mauer«, einer kleinen Opposition und einer homogenen Bevölkerung bestand. Das reale Leben wird nicht thematisiert, was zu Gegenreaktionen führt, die zwar verständlich sind, darum aber nicht richtiger sein müssen: uneingeschränkte Bejahung der DDR und ihrer Verhältnisse. Das Wichtigste jedoch, was diese Gesellschaftsform wirklich war, wo es Fortschritt gab, wo Entwicklung stagnierte und dergleichen mehr, geht auch in dieser Geschichtsbetrachtung unter. So nimmt es nicht wunder, dass sich viele Ostdeutsche bis heute nicht aufgehoben fühlen im staatlich vereinigten Deutschland.

Ein wenig davon spürt man in der Diskussion um die Frauenemanzipation. Das fängt bei dem Stirnrunzeln an, das Frauen aus dem Osten bei Frauen aus dem Westen erregen, wenn sie vom »Frauentag« anstatt »Frauenkampftag« sprechen. Natürlich war der Frauentag in der DDR ritualisiert und kein Frauenstreiktag. Es gab Blumen. Eine feministische Theorie wie in der Bundesrepublik gab es nicht bzw. - wie so oft in der DDR, wenn Nichtmarxistisches rezipiert wurde - in einer gut eingebetteten Form, die sie fast unsichtbar machte.

Dafür gab es in der DDR ein modernes Ehe- und Scheidungsrecht, das Frauen nicht diskriminierte. Dass Frauen arbeiteten, war nicht verpönt, sondern erwünscht. Entsprechend wurden Infrastrukturen geschaffen wie Kinderkrippen und Kindergärten, die Hortbetreuung in den Schulen usw. Auch der Schwangerschaftsabbruch war legalisiert. Die Ehe verlor so ihre traditionelle Funktion. Immer häufiger lebten Männer und Frauen zusammen, ohne zu heiraten. Das wiederum machte Frauen auch sexuell selbstbewusster. Selbstverständlich wurde auch die geschlechtsbezogene Lohndiskriminierung, der Gender Pay Gap, beseitigt. Andererseits gab es Doppelbelastungen für Frauen, die durch die Entwicklung der Männer schrittweise überwunden wurden.

Die politischen Prämissen waren allerdings andere. Die genannten Entwicklungen waren Nebenfolgen des politischen Willens, Frauen auch als Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben, weshalb sie aus der traditionellen Rolle herausmussten. Jedenfalls gab es keine feministischen Diskussionen im Politbüro. Allerdings geriet das Ganze auch nicht in Widerspruch zum sozialistischen Weltbild. In der sozialistischen Arbeiterbewegung war die Befreiung der Frau immer ein Thema, weit über das Frauenwahlrecht hinausgehend. Insbesondere ist Clara Zetkin hier hervorzuheben.

In meiner Partei ist mir oft aufgefallen, dass Frauen mit einer DDR-Herkunft sich feministischen Diskussionen öffneten, weil sie Selbstverständlichkeiten aus ihrem DDR-Leben bewahren wollten. Bei Frauen, die in der alten Bundesrepublik aufgewachsen sind, ist der Feminismus daher auch wesentlich theoriegeleiteter. Sie wollen nichts bewahren und drücken ihre Ziele daher in einer theoretischen Sprache aus.

Wenn man die Lebensverhältnisse in Ost und West vergleicht, dann sollte man trotz aller Benachteiligung des Ostens dennoch eine Sache nicht übersehen. Im Osten ist der Gender Pay Gap - also die geschlechtsbezogene Lohndiskriminierung - nach wie vor geringer als im Westen Deutschlands. Zudem ist auch in jüngeren Generationen, wo es also keine unmittelbare DDR-Prägung mehr gibt, das Geschlechterrollenverständnis weniger traditionell-patriarchal geprägt als im Westen, was im Osten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf weit entgegenkommt. Hier konnte etwas aus dem Staatssozialismus »vererbt« werden, vermutlich, weil dies die Produktionsverhältnisse nicht unmittelbar berührte.

Aber eins möchte ich nicht unerwähnt lassen. Denn es zeigt, dass das Patriarchat in der DDR längst noch nicht überwunden war. Dabei könnte ich jetzt auf den Frauenanteil unter den Professoren verweisen oder auf den im Politbüro. Interessanter finde ich jedoch etwas anderes. Irgendwann gab es zu wenige Reinigungskräfte, weshalb die Löhne kräftig angehoben wurden. Daraufhin ging der Arbeitskräftemangel zurück. Allerdings sah man nun ständig Männer putzen. Sobald es etwas zu verdienen gibt, sind Männer am Start. Umgekehrt bedeutet das: »Frauenarbeit« gibt es eigentlich nicht, sie ist nur schlecht bezahlte Arbeit. Von dieser Mentalität, hatte sich der Staatssozialismus nicht richtig entfernt.

Ich bin überzeugt, dass dieses Buch dazu beitragen kann, etwas von der DDR-Realität mitzuteilen, die nicht wie bisher auf Negatives reduzierbar ist, die aber auch nicht als überzeugender Versuch eines Sozialismus durchgehen darf.

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