nd-aktuell.de / 20.03.2019 / Politik / Seite 14

Die Kamera in der Cola-Flasche

Hamburger Senat äußert sich zu Überwachung von linkem Infoladen: »Wir sagen nichts«

Folke Havekost, Hamburg

Es klingt wie eine schlechte Agentenstory: Ein linker Infoladen im Hamburger Schanzenviertel wird durch eine getarnte Kamera überwacht. Nach einiger Zeit entdecken die Bewohner eines alternativen Wohnprojekts die im dritten Stock eines gegenüberliegenden Seniorenheims getarnte Kamera, die in einer Colaflasche angebracht ist. Dem Leiter des Seniorenheims hatten Polizeibeamte erklärt, man überwache hier die Drogenszene im alternativen Schanzenviertel. Der Fall sorgte für einigen Wirbel, die Kamera wurde mittlerweile abgebaut. Ob der Infoladen Schwarzmarkt anderweitig überwacht wird, ist derzeit unklar. In dem »Objekt«, das observiert wurde, befindet sich noch ein linkes Wohnprojekt, ein ehemals besetztes Haus. Wen genau die Sicherheitsbehörden im Visier hatten und was sie herausfinden wollten, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Die Behörden mauern. »Dazu sagen wir aus grundsätzlichen Erwägungen nichts«, erklärte ein Sprecher der Hamburger Polizei laut »Hamburger Abendblatt«.

Aus einer Kleinen Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Christiane Schneider (LINKE) geht nun hervor, dass der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer die Observierung angeordnet habe. Die Polizei beruft sich demzufolge auf das Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG). Was so harmlos klingt, ist offenbar ein Freibrief zur geheimdienstlichen Überwachung. In Paragraf 9 Absatz 1 heißt es dort: »Die Polizei darf personenbezogene Daten erheben durch eine planmäßig angelegte Beobachtung, die innerhalb einer Woche länger als 24 Stunden oder über den Zeitraum einer Woche hinaus vorgesehen ist oder tatsächlich durchgeführt wird (längerfristige Observation)«.

Die Beobachtung sei erlaubt, »wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist«. Die Observierung sei weiterhin rechtmäßig, »soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Personen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden (…)«. Und: »Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.« Auf die Frage nach dem Zweck des Kameraeinsatzes antwortet der Senat mit der nötigen Klarheit: »Die Maßnahme diente der Unterstützung der personenbezogenen Observation.«

Christiane Schneider kritisiert das Vorgehen der Behörden: »Die Polizei benennt eine Rechtsgrundlage. Ob die Observation durch diese Rechtsgrundlage gedeckt ist, kann ich nicht beurteilen. Mehr als problematisch finde ich allerdings, dass für einen ›gefahrenrechtlichen Ermittlungsvorgang‹ des LKA in die Grundrechte zahlreicher Menschen eingegriffen wird, darunter viele unbeteiligte Dritte. Problematisch finde ich ferner, dass eine solche Observation vieler Menschen durch den Polizeipräsidenten angeordnet werden kann und nicht dem Richtervorbehalt unterliegt.«

In einer Erklärung des Infoladens heißt es: »Es macht den Anschein, als wären sowohl der private Wohnraum des Hausprojektes und die zur Straße gehenden Projekträume im Erdgeschoss als auch die Räumlichkeiten des Infoladens Schwarzmarkt von der Observation betroffen.« Die Geschichte des Infoladens Schwarzmarkt reicht bis in die bewegten 1970er Jahre zurück. »Der Schwarzmarkt ist seit über 40 Jahren ein wichtiger Bestandteil linker Infrastruktur in Hamburg und befindet sich seit über 25 Jahren am aktuellen Standort«, erklären die Betreiber. »Mit dem Entstehen der autonomen Bewegung Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre bildeten sich in vielen Städten die ersten Infoläden. Diese Infoläden begriffen sich als Teil des Konzeptes Gegenöffentlichkeit«, heißt es zum Selbstverständnis des »Schwarzmarkt« auf dessen Website.

Im Schaufenster des Infoladens wird unter anderem mit einem Plakat gegen die Kriminalisierung der Kurdistan-Solidarität geworben. Zugleich können Passanten sich über ein Poster zu den G-20-Protesten amüsieren, auf dem im Stil eines Fahndungsplakats vor »Gewalttätern« gewarnt wird. An erster Stelle befindet sich auf dem Plakat ein »Fahndungsfoto« von Hamburgs damaligem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sowie ein Bild des amtierenden Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer, der auch die Überwachung angeordnet hatte.