nd-aktuell.de / 22.03.2019 / Die andere Türkei / Seite 10

Als ob nicht Regionalwahlen ...

... sondern Parlamentswahlen anstünden. Yücel Özdemir über den Kampf um die türkischen Städte und den Südosten

Yücel Özdemir

Am 31. März werden in der Türkei Regionalwahlen abgehalten. In der letzten Phase des Wahlkampfes haben Recep Tayyip Erdoğan und seine Minister noch einmal nachgelegt in Sachen Kritik gegenüber den Oppositionsparteien. Eigentlich ist es keine Kritik mehr, vielmehr drohen sie. Die Linkspartei HDP (Halkların Demokratik Partisi, Demokratische Partei der Völker), die die wichtigste Stimme von Kurden in der Türkei ist, wird ohnehin permanent bedroht. Genauer gesagt: HDP-Politiker zu bedrohen, zu verhaften und dauerhaft in Gefangenschaft zu halten, gehört mittlerweile zur Routine der türkischen Politik. Dieses Drohszenario wird nun in den Städten auch gegen die kemalistische CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, Republikanische Volkspartei) und die rechtsnationalistische İyi Parti gerichtet, wo sie für Erdoğan und seine AKP eine ernsthafte Konkurrenz darstellen. Denn einer möglichen Erschütterung seiner Herrschaft gegenüber ist Erdoğan keineswegs nachsichtig.

Obwohl es sich eigentlich »nur« um Kommunalwahlen handelt, weht ein Wind von Parlamentswahlen durch das Land. Der Staatspräsident tritt in seiner Funktion als AKP-Parteivorsitzender fast täglich in ein bis zwei Städten bei Wahlkampfveranstaltungen auf und gibt Interviews im Fernsehen. Ganz so, als sei Erdoğan selbst Kandidat für alle Bürgermeisterposten ...

Aus drei Gründen sind die Kommunalwahlen von großer Bedeutung: Erstens wegen der zu erwartenden Ergebnisse in den mehrheitlich kurdischen Provinzen. Seit Herbst 2016 wurden allein dort 83 von 103 Rathäusern, in denen die zur HDP gehörende kurdische Partei DBP (Demokratik Bölgeler Partisi, Demokratische Partei der Regionen) die Wahlen gewonnen hatte, unter Zwangsverwaltung gestellt. 89 Co-Bürgermeister wurden inhaftiert. An ihrer Stelle wurden Gouverneure von Ankaras Gnaden eingesetzt.

Die Kurden bereiten sich nun darauf vor, in erster Linie die unter Zwangsverwaltung stehenden Provinzen und Bezirke zurückzugewinnen und durch einen Wahlsieg in weiteren Orten ein starkes Zeichen zu setzen. Es zeichnet sich ab, dass die HDP deutlich vorne liegen wird in den Provinzen, in denen die Bürgermeister abgesetzt wurden. Am Donnerstag wurde mit dem kurdischen Neujahrsfest Newroz erneut unterstrichen, dass das sogenannte Kurdenproblem nicht durch die Absetzung und Inhaftierung kurdischer Politiker gelöst werden kann. Der Wille der Kurden, also solche anerkannt zu werden, lässt sich nicht einfach unterdrücken.

Der zweite Grund für die Bedeutung der anstehenden Wahlen ist die Lage in den Großstädten. Von den drei größten Städten der Türkei befinden sich İstanbul und Ankara in den Händen der AKP, Izmir wird von der CHP regiert. Für den AKP-Kandidaten und ehemaligen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi ist ein Sieg in Izmir so gut wie ausgeschlossen. Der eigentliche Wettkampf zwischen Erdoğan und der Opposition findet in Istanbul und Ankara statt. Laut Umfragen liegt in İstanbul momentan der ehemalige Ministerpräsident und AKP-Kandidat Binali Yıldırım knapp vor Ekrem İmamoğlu, dem gemeinsamen Kandidaten von CHP und İyi Parti. Dennoch wäre ein Sieg von İmamoğlu keine Überraschung. Denn die HDP, die in İstanbul zwischen 10 und 13 Prozent liegt, hat aus taktischen Gründen keinen eigenen Kandidaten aufgestellt. Aus Sicht der Opposition wäre ein Sieg in İstanbul der Beginn des Zerfalls der AKP. Schon beim Referendum vom 16. April 2017 lag die Opposition in İstanbul vor der AKP.

In Ankara wird mit großer Sicherheit der AKP-Kandidat Mehmet Özhaseki eine Niederlage einstecken. Mansur Yavaş, der vor fünf Jahren schon einmal Kandidat der CHP war, liegt in den Umfragen deutlich vorne. Aus diesem Grund legt Erdoğan großen Wert auf den Wahlkampf in Ankara und bedroht Yavaş permanent. Die HDP hat in Ankara ebenfalls keinen eigenen Kandidaten aufgestellt.

Zuletzt: Momentan wird auch diskutiert, wie sich wohl der Unmut innerhalb der AKP zeigen wird, ob die dort stattfindenden Debatten, die auch Erdoğan nicht abstreitet, gar zu einer Spaltung führen könnten. Die türkischen Medien berichten bereits darüber, dass der ehemalige, 2016 von Erdoğan abgesetzte Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu die Vorbereitungen zur Gründung einer neuen Partei abgeschlossen habe, für eine Verkündung aber noch die Ergebnisse der Wahl abwarte.

Aus dem Türkischen von Svenja Huck