nd-aktuell.de / 13.04.2019 / Kultur / Seite 10

Alles aussteigen...

Stephan Fischer

… diese Kolumne endet hier. Schließlich hat ihr Verfasser innerhalb eines halben Jahres fast die gesamte Erde umrundet - zumindest was die Kilometerzahl angeht. In realiter fand und findet die tatsächliche Fortbewegung zwischen zwei nicht ganz unbedeutenden Flecken Mitteleuropas statt, der eine schöner, der andere größer. Und im Gegensatz zur Erdumrundung gab es dabei nicht Unzähliges einmalig zu sehen, sondern einiges, das aber immer wieder. Und zu spüren.

Schmerzen zum Beispiel. Dass zu langes Pendeln nicht unbedingt dem Gefühlshaushalt zugutekommt, weiß man aus Befragungen und Studien. Das ist allerdings eher ein schleichender Prozess, so ähnlich wie in manch mittlerweile fast lieb gewonnener Langsamfahrstelle auf der Stammstrecke. Nein, Schmerzen im ganz wörtlichen Sinne, egal wie man es nimmt - Pendeln ist die Hölle für den Körper, vor allem für den Rücken. Man kann sich strecken, aufstehen, wie man will - die werktäglich mehrstündige Fahrt in Kombination mit einem Büroberuf läuft auf Freifahrtschein Richtung Bandscheibenvorfall. Und zwar ohne Verspätung oder Sonntagsrückfahrkarte.

Pendeln an sich ist auch nicht lustig oder schön, beides entsteht erst im Kopf des Fahrenden: Wie eine bestimmte Stelle der Landschaft tagtäglich aussieht - die Variation des Lichts und die daraus resultierende Varianz der Farben sind tatsächlich überwältigend. Aber das kann man mit offenen Augen ebenso auf anderen Wegen erfahren.

Über Mitreisende wird viel geschrieben, vielleicht zu viel, weil alles stimmt: Es gibt ab und an die Lauten, meistens die Leisen und fast immer die zu vielen anderen. Im Zug wird einem der eigene Raumbedarf erst so richtig vor Augen und vor allem vor die Ohren geführt. Ein Einzelabteil für sich oder zumindest genügend Platz am Großraumtisch - bei weniger Raum wird es anstrengend. Ebenso wie die Folge des Umstands, dass die Vorschrift »Erst aussteigen lassen, dann einsteigen!« noch keine sanktionsbewehrte Gesetzeskraft hat.

Immer mehr Menschen in Deutschland pendeln immer längere Strecken. Und werden damit zu Experten für bestimmte Straßen zu bestimmten Zeiten, für die Unterschiede zwischen den Steckdosenplätzen in den Wagen verschiedener europäischer Bahnverwaltungen oder die unzähligen Varianten, eine Rolltreppe falsch zu nutzen. All dies Wissen findet seinen Nutzen letztendlich darin, die Pendler zur Arbeit zu bringen. Ohne den entscheidenden Teil des Pendelns wäre das alles nur eine ziemlich trostlose (und wie erwähnt, Rücken schindende) Angelegenheit. Aber ein Pendel schwingt eben immer auch zurück. Und es gibt kaum ein schöneres Gefühl, als nach Hause zu kommen. Jeden Abend.