Eine lebendige Tradition

Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative über die Ostermärsche und die Friedensbewegung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Was ist bei den diesjährigen Ostermärschen geplant?

Es sind bisher 106 Veranstaltungen geplant, täglich kommen noch neue in unserer Datenbank hinzu. Im vergangenen Jahr hatten mehrere Zehntausend Menschen an den Märschen teilgenommen. Dieses Mal erwarten wir etwas mehr. Durch die Aufkündigung des INF-Atomwaffenvertrages durch die USA und Russland sind grade viele Leute alarmiert. Wir erleben praktisch die Wiederholung von Auseinandersetzungen, die man eigentlich längst gewonnen glaubte. Das wird den Demonstrationen sicher Anschub geben.

Kristian Golla

Kristian Golla arbeitet seit Ende der 1980er Jahre beim Netzwerk Friedenskooperative. Dort ist der Aktivist für die bundesweite Informationsarbeit zu den Ostermärschen verantwortlich. Das Netzwerk Friedenskooperative ist eine Dachorganisation der deutschen Friedensbewegung und wurde 1989 in gegründet. Seinen Sitz hat es in Bonn. Mit Golla sprach für »nd« Sebastian Bähr. Foto: Friedenskooperative

Welche Themenschwerpunkte wird es geben?

Es gib drei Themenschwerpunkte, die sich in den meisten Aufrufen wiederfinden. Erstens ist das die Kritik an den Atomwaffen und ihrer Lagerung in Deutschland. Zweitens die Ablehnung der von der NATO geforderten Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das dritte Thema sind die deutschen Rüstungsexporte, die in Kriegs- oder Konfliktgebieten landen. Daneben wird es aber auch lokale Schwerpunkte geben.

Diese Themen wurden zum Teil breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Haben die Ostermärsche diesmal die Chance, eine größere politische Rolle zu spielen? Oder wird es doch eher eine Traditionsveranstaltung bleiben?

Die Ostermärsche sind eine lebendige Tradition. Die Stärke der Friedensbewegung lässt sich aber nicht an der Anzahl ihrer Teilnehmer messen. Ostern auf die Straße zu gehen, ist letztlich auch nur eine Form des Protestes. Ob Latschdemo, Onlinepetition, Blockade oder ziviler Ungehorsam - die Friedensbewegung braucht einen bunten Mix an Aktionsformen. Ob jetzt ein paar mehr oder weniger Leute kommen, ist nicht entscheidend. Wichtig ist vielmehr, dass die Menschen seit Jahren kontinuierlich für Frieden und Abrüstung protestieren und es auch weiter tun.

Offenbar sind für jüngere Menschen gerade andere Themen wie Klimagerechtigkeit drängender. Was bedeutet das für die Friedensbewegung?

Die Themen hängen miteinander zusammen. Eine ganze Reihe von Rednern von der »Fridays for Future«-Bewegung wird auch auf den Ostermärschen sprechen.

Wie hängen sie zusammen?

Die Auswirkungen der Klimakrise werden in 15 bis 20 Jahren spürbar sein. Bei einem neuen Atomkrieg droht ein ähnliches »Weltuntergangsszenario«. Aber mit einem Unterschied: Das Weltenende tritt möglicherweise schon sehr viel kürzer als in einer Generation ein. Ein Atomkrieg kann jederzeit aus Versehen beginnen. Und die Raketen schlagen Minuten nach dem Abschuss ein.

Trotz dieser Zusammenarbeit und der drängenden Themen scheint das Engagement in friedenspolitischen Initiativen nicht merkbar zu wachsen. Liegt es daran, dass heutige Krisenherde wie in Syrien oder Libyen zu komplex sind, um klare Positionen oder nachhaltige Lösungsstrategien zu entwickeln?

Die Welt ist im Vergleich zu den 1980er Jahren komplizierter geworden. Früher wurden die Konflikte meist in einem Ost-West-Schema gedeutet. Diese Bipolarität gibt es heute nicht mehr, beispielsweise in Syrien sind ja wesentlich mehr als zwei Akteure involviert.

Beispiel Syrien: Es gibt immer wieder Kritik, dass Teile der Friedensbewegung nur die USA hier als Aggressor wahrnehmen, aber Russlands Rolle kleinreden. Ist da etwas dran?

Die Friedensbewegung ist bunt und vielfältig, da gibt es sehr unterschiedliche Gruppen. Natürlich finden sich darunter auch welche, die Russland weniger stark kritisieren als die USA. Gleichzeitig ist es aber auch richtig, darauf hinzuweisen, dass der Westen mit den Sicherheitsinteressen von Russland anders umgehen muss als jetzt. Dies darf nur eben nicht bedeuten, Putins Umgang mit der Opposition oder Moskaus imperiale Interessen im Ausland zu ignorieren.

Zu den Erfolgen der Friedensbewegung: Die Kampagne »Abrüsten statt Aufrüsten« hat mittlerweile 145 000 Unterschriften gesammelt. Wie geht es jetzt damit weiter?

Vorerst werden wir weitere Unterschriften sammeln, unter anderem bei den Ostermärschen. Im Herbst wollen wir die Listen dann während der Haushaltsberatungen für das kommende Jahr vor dem Reichstag in Berlin übergeben. Wir möchten damit aufzeigen, dass es aktuell etwas anderes braucht als eine Erhöhung der Bundeswehrausgaben. Wir benötigen das Geld in anderen Bereichen. Damit meine ich Unterstützung für friedliche Konfliktlösungen, aber auch eine Erhöhung der Sozialausgaben, etwa dem Wohnungsbau. Die Anzahl der Unterschriften ist für mich ein starkes Zeichen. Dieses müssen wir nun in konkrete Politik umsetzen.

An der Kampagne beteiligt sich auch der DGB. Wie läuft hier die Zusammenarbeit?

Ein so offenes Ohr wie mit dieser Kampagne haben wir bei den Gewerkschaften ganz lange nicht mehr gehabt. Ver.di und die IG Metall sitzen sogar mit im Arbeitsausschuss. Man muss keinem Gewerkschafter erklären, dass mehr Geld in soziale Belange statt in höhere Rüstungsausgaben investiert werden muss. Ich glaube, dass wir in Zukunft weiter gut zusammenarbeiten können.

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