nd-aktuell.de / 02.05.2019 / Brandenburg / Seite 13

Die Demokratie in Teltow-Fläming

Bei der Kommunalwahl am 26. Mai wird eine größere Streuung der Stimmen erwartet

Andreas Fritsche

In der schicken Kreisverwaltung am Nuthefließ in Luckenwalde sitzen die Kreistagsabgeordneten von Teltow-Fläming beieinander. Es ist am Montagabend ihre letzte Sitzung vor der Kommunalwahl am 26. Mai, und sie beschließen gleich zu Beginn einen Aufruf an die Bürger. »Verschenken Sie nicht Ihre Stimme« und »stärken Sie Demokratie und Toleranz mit der Wahl demokratischer Parteien«, heißt es darin. Aggressivität, Fremdenfeindlichkeit und Hass sollen in Teltow-Fläming keinen Platz haben. Im Kreistag hat der Hass auf Ausländer allerdings mindestens einen Platz. Einen Sitzplatz. Den der Kreistagsabgeordneten Stella Hähnel (NPD). Aber er bleibt an diesem Abend wie so oft leer.

Das heißt aber nicht, dass der Aufruf an die Bürger geräuschlos über die Bühne geht. Die Kreistagsabgeordnete Birgit Bessin (AfD) spielt die beleidigte Leberwurst, weil sie den Aufruf nicht mit unterschreiben durfte. Schließlich sei die AfD auch eine demokratische Partei und hätte sich gern beteiligt. Wenigstens einmal hätten die anderen Parteien über ihren Schatten springen und die AfD mit einbeziehen können, nörgelt Bessin.

Was davon zu halten ist, zeigt sich bei einer Abstimmung über die weitere Beteiligung am Bundesprogramm »Demokratie leben«. Seit 2015 sind immerhin 478 000 Euro nach Teltow-Fläming geflossen und hier auf 110 Projekte verteilt worden. Nur die AfD stimmt dagegen, dies fortzusetzen. Ihr schmeckt nicht, dass die Mittel auch Initiativen zugute kommen, die sich kritisch mit der AfD auseinandersetzen.

Die AfD mag noch eine demokratische Partei sein, kontert SPD-Fraktionschef Detlef Schlüpen. Doch sie mache sich mit Populisten gemein, die dazu beitragen, dass sich der rechtsextremistische Sumpf ausbreite.

Es sind die politischen Vorbehalte aber nicht der alleinige Grund dafür, dass die AfD für den Wahlaufruf nicht ins Boot geholt wurde. Formal ist es schlicht und einfach so, dass jeweils die Fraktionschefs unterzeichnet haben. Im Kreistag sitzt die AfD jedoch nur zu zweit. Zwei sind zu wenig für eine Fraktion. Einen AfD-Fraktionschef gibt es deswegen einstweilen noch nicht. Das dürfte sich mit der Kommunalwahl am 26. Mai allerdings ändern. Die AfD wird ihr Ergebnis aller Voraussicht nach deutlich verbessern können.

Die großen Parteien SPD, CDU und LINKE müssen aber nicht allein deswegen damit rechnen, prozentual etwas schlechter abzuschneiden. Der Kuchen wird wahrscheinlich auch sonst anders verteilt. Denn bei Kommunalwahlen befinden sich bereits seit Jahren die verschiedensten Wählergruppen bis hin zur Freiwilligen Feuerwehr auf dem Vormarsch. Besonders was die Gemeindevertretungen und die Stadtverordnetenversammlungen betrifft, haben die Parteien tendenziell immer weniger zu melden. Doch auch die Kreistage sind von diesem Trend erfasst.

»Wir erwarten eine größere Streuung«, sagt Linksfraktionschef Hans-Jürgen Akuloff, der seinen Posten nach 29 Jahren abgeben wird. Mit nunmehr 71 Jahren kandidiert er nicht wieder für den Kreistag. Der Kreistagsvorsitzende Gerhard Kalinka (Grüne) dankt für die »konstruktive Zusammenarbeit«. Akuloffs Abschied von der Kommunalpolitik ist damit aber nicht perfekt. Im Stadtparlament von Luckenwalde möchte er sich noch ein paar Jahre engagieren. Dafür hat er sich wieder nominieren lassen. Wer sein Nachfolger im Kreistag wird, müsse die neue Linksfraktion entscheiden, sagt Akuloff. Es werde sicher mehrere Möglichkeiten geben. Eine Option zumindest für den Fraktionsvorstand wäre sicherlich der 32-jährige Felix Thier. Er ist bereits Kreisparteichef.

Auch Felix Thier rechnet damit, dass kleinere Gruppen kommunalpolitisch an Einfluss gewinnen. Darum möchte er keine überzogene Ziele formulieren. Wenn die LINKE auf Augenhöhe mit SPD und CDU bleibt, dann wäre er durchaus schon zufrieden. »Sich ein bisschen zu verbessern, wäre natürlich nicht schlecht«, fügt Felix Thier hinzu.

Immerhin hat die LINKE in Teltow-Fläming einen besonderen Status. Es ist der einzige brandenburgische Landkreis, in dem die LINKE den Landrat stellt. Es ist eine Landrätin: Kornelia Wehlan. Sie war 2013 nicht nur die erste Sozialistin, die nach 1990 an die Spitze eines Landkreises in Brandenburg gewählt wurde. Sie ist auch nach wie vor die einzige Genossin im Bundesland, der dieses Kunststück gelungen ist.

Es lohnt sich, noch einmal genauer hinzuschauen, wie Wehlan regiert. Sie kann sich zwar auf eine starke Linksfraktion stützen, die aber dennoch weit von einer Mehrheit im Kreistag entfernt ist. Darum wird mit wechselnden Mehrheiten agiert und sachlich sowohl mit der CDU als auch mit der SPD und anderen zusammengearbeitet. Das klappt so gut, dass seit Jahren die Vorlagen der Kreisverwaltung meist sehr einmütig, oft sogar einstimmig beschlossen werden, wie Felix Thier berichtet.

Das entwickelt sich zum Vorbild. In Frankfurt (Oder) geht der neue Oberbürgermeister René Wilke (LINKE) seit dem vergangenen Jahr einen ähnlichen Weg, und unter anderen Vorzeichen macht es in Cottbus der dortige Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) genauso. Das heißt nicht, dass die inhaltlichen Differenzen zwischen den Parteien verschwinden.

Ein Beispiel dafür steht auch bei der letzten Kreistagssitzung vor der Kommunalwahl in Teltow-Fläming auf der Tagesordnung. Die LINKE ist prinzipiell für die Gemeinschaftsschule. Das schließt die sogenannte Inklusion ein. Lernbehinderte Schüler sollen mit leistungsstarken in einer Klasse sitzen und dort individuell gefördert werden. Logische Konsequenz wäre die Abschaffung der Förderschulen. Die CDU ist aber dagegen. Das äußert sich konkret bei einem Kreistagsbeschluss gegen das Aus für die Pestalozzi-Förderschule in Jüterbog. Der Fall ist speziell. Weil es über Jahre zu wenige Anmeldungen gab, führt an der Schließung sowieso kein Weg mehr vorbei. Die letzten verbliebenen Schüler wechseln zum nächsten Schuljahr auf eine Förderschule in Luckenwalde oder auf eine normale Schule in Jüterbog. Die Lehrer werden vom Land umgesetzt. Sogar in der CDU-Kreistagsfraktion gibt es deshalb die Ansicht, man wolle zwar grundsätzlich keine Förderschule schließen, aber als Kreis vernünftigerweise auch kein Geld für ein leeres Gebäude bezahlen.

Doch der überfällige Schließungsbeschluss kommt nicht zustande. Den Ausschlag gibt eine sehr persönliche, sehr emotionale Rede der CDU-Abgeordneten Carola Hartfelder. Ihre Tochter litt als Kind unter einer Lese-Rechtschreib-Schwäche, hat aber ihren Weg gemacht. Bei neun Stunden Deutschunterricht pro Woche in der Unterstufe der Schulen in der DDR und mit viel Fleiß sei es möglich gewesen, den Nachteil auszugleichen, erzählt Hartfelder. Die Enkelin hatte es nach der Wende schwerer. Zwei Jahre in einer Förderklasse ermöglichten der Enkelin aber, mit der Lese-Rechtschreib-Schwäche soweit klar zu kommen, dass sie nun sogar ihr Abitur machen kann. Hartfelder appelliert, für den Erhalt der Pestalozzi-Schule zu votieren. Mit 22 zu 17 Stimmen folgt der Kreistag dieser Empfehlung.

Es nützt aber nichts. Das Aus ist wegen Schülermangels trotzdem besiegelt. Der Abgeordnete Felix Thier (LINKE) bedauert das Ergebnis der Abstimmung. Schließlich gibt es schon Ideen für die Nachnutzung des Schulgebäudes, deren Umsetzung nun gebremst ist.